Zwei an Einem Tag
wollte, stützte sich Ian seufzend die Wange auf die Faust.
»Ich glaube, das liegt daran, wenn man in der Schule nicht gerade helle, gutaussehend, beliebt oder was auch immer ist, und eines Tages sagt man was Witziges, und jemand lacht, na ja, dann klammert man sich doch irgendwie daran, oder? Man denkt, ich sehe beim Rennen ulkig aus, ich hab ein riesiges Gesicht und dicke Oberschenkel und niemand steht auf mich, aber wenigstens bringe ich die Leute zum Lachen. Und es ist so ein geiles Gefühl, Leute zum Lachen zu bringen, dass man vielleicht anfängt, sich darauf zu verlassen. Und wenn man nicht mehr witzig ist, dann ist man … ein Nichts.« Er betrachtete die Tischdecke, schob die Krümel mit den Fingerspitzen zu kleinen Häufchen zusammen und sagte: »Eigentlich dachte ich, du wüsstest, wie das ist.«
Emma legte sich die Hand auf Brust. »Ich?«
»Eine Show abzuziehen.«
»Ich zieh doch keine Show ab.«
»Den Spruch mit den Goldfischen hast du schon mal gebracht.«
»Nein, ich … na und?«
»Ich dachte nur, wir zwei sind uns ähnlich. Manchmal.«
Zuerst war sie gekränkt. Stimmt nicht, wollte sie sagen, was für ein absurder Gedanke, aber wieder lächelte er sie so – wie war das Wort noch gleich – liebevoll an, und vielleicht war sie doch etwas zu hart zu ihm gewesen. Sie zuckte die Achseln. »Ich nehme dir das sowieso nicht ab.«
»Was?«
»Dass niemand auf dich steht.«
Mit scherzhaft verstellter, nasaler Stimme sagte er: »Nun, die uns vorliegenden Informationen legen andere Schlüsse nahe.«
»Ich bin doch hier, oder?« Er sagte nichts; sie hatte eindeutig zu viel getrunken, und jetzt spielte sie mit den Brotkrümeln. »Genau genommen habe ich vorhin noch gedacht, wie gut du neuerdings aussiehst.«
Ian umfasste sich mit beiden Händen den Bauch. »Na ja, hab ein bisschen trainiert.«
Sie lachte völlig natürlich, sah ihn an und beschloss, dass sein Gesicht nicht übel war; nicht irgendein unbedarftes, hübsches Jungengesicht, sondern ein richtiges, echtes Männergesicht. Sie wusste, nachdem die Rechnung bezahlt wäre, würde er sie zu küssen versuchen, und diesmal würde sie ihn gewähren lassen.
»Lass uns gehen«, sagte sie.
»Ich kümmere mich um die Rechnung.« Mit einer angedeuteten Schreibbewegung zeigte er dem Kellner, dass sie die Rechnung wollten. »Schon ulkig, diese kleine Pantomimenummer, die alle machen. Wem das wohl eingefallen ist?«
»Ian?«
»Was? Entschuldige.«
Wie ausgemacht teilten sie sich die Rechnung, und auf dem Weg nach draußen zog Ian die Tür auf und trat fest dagegen, so dass es aussah, als hätte sie ihn im Gesicht getroffen. »Kleine Slapstickeinlage …«
Draußen hatten sich dicke, schwarzgraue Wolken aufgetürmt. Der warme Wind hatte den vor einem Sturm typischen, leicht metallischen Geruch, und Emma war angenehm benommen von dem Brandy, als sie über den Platz nach Norden spazierten. Sie hatte Covent Garden mit all den peruanischen Panflöten-Musikern, Jongleuren und der gezwungenen guten Laune nie leiden können, aber heute gefiel es ihr, genauso, wie am Arm dieses Mannes zu hängen, der immer so nett war und sich für sie interessierte, auch wenn er die Jacke an der kleinen Kragenschlaufe über der Schulter trug. Sie sah zu ihm hoch und bemerkte sein Stirnrunzeln.
»Was ist los?«, fragte sie und drückte seinen Arm.
»Ach, weißt du, ich hab irgendwie das Gefühl, ich hätts versaut. Bin nervös geworden, hab übertrieben und dämliche Bemerkungen gemacht. Weißt du, was das Schlimmste daran ist, ein Stand-up-Komiker zu sein?«
»Die Klamotten?«
»Die Leute erwarten, dass man immer ›gut drauf‹ ist. Man ist immer auf der Jagd nach Lachern …«
Teils, um das Thema zu wechseln, legte sie ihm die Hände auf die Schultern, stellte sich auf die Zehenspitzen, zog sich an ihm hoch und küsste ihn. Sein Mund war feucht und warm. »Brombeeren und Vanille«, murmelte sie, die Lippen auf seine gepresst, obwohl er eigentlich nach Parmesan und Alk schmeckte. Es störte sie nicht. Er musste lachen, und sie stellte sich normal hin, umfasste sein Gesicht und sah zu ihm hoch. Er schien vor Dankbarkeit den Tränen nahe, und sie war froh, dass sie ihn geküsst hatte.
»Emma Morley, ich muss schon sagen …«, feierlich sah er zu ihr hinunter, »ich finde, du bist absolut der Hammer.«
»Alter Süßholzraspler«, gab sie zurück, »lass uns zu dir gehen, ja? Bevor es anfängt zu regnen.«
Rate, wer dran ist? Es ist jetzt halb zwölf. Wo steckst du,
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