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Zwei an Einem Tag

Zwei an Einem Tag

Titel: Zwei an Einem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Nicholls
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in euren Kostümen ausseht! Schaut euch den kleinen Samir mit den dicken Koteletten an!« Die Menge lacht, Samir spielt mit und kratzt sich den angeklebten Backenbart. »Da draußen sitzen eure Freunde und Eltern, und sie sollen eine großartige Aufführung geboten kriegen, eine echte Show. Dachte ich zumindest.« Seufzend verschränkt sie die Arme. »Aber anscheinend müssen wir die Aufführung absagen …«
    Natürlich blufft sie nur, aber die Wirkung ist enorm, ein allgemeines, protestierendes Aufstöhnen.
    »Aber wir haben doch nichts gemacht, Miss!«, protestiert Fagin.
    »Und wer hat ›kämpft, kämpft‹ geschrien, Rodney?«
    »Aber sie ist total ausgerastet, Miss!«, zwitschert Martin Dawson, und Sonya will sich wieder auf ihn stürzen.
    »He, Oliver, willst du noch mehr ?«
    Die anderen lachen, und Emma zaubert die alte Triumph-gegen-alle-Widerstände-Rede aus dem Ärmel. »Schluss jetzt! Ihr sollt eine Truppe sein und kein Mob! Ich muss euch leider sagen, da draußen gibt es heute ein paar Leute, die glauben, dass ihr das nicht packt! Sie glauben, ihr seid unfähig, es ist zu schwer für euch. Das ist Charles Dickens, Emma!, sagen sie, die Kids sind nicht helle genug dafür, sie haben nicht genug Disziplin, um zusammenzuarbeiten, Oliver! ist eine Nummer zu groß für sie, gib ihnen was Nettes, Einfaches.«
    »Wer hat das gesagt, Miss?«, fragt Samir, bereit, das Auto desjenigen mit dem Schlüssel zu zerkratzen.
    »Ist doch egal, wer das gesagt hat, jedenfalls denken sie es. Und vielleicht haben sie ja Recht! Vielleicht sollten wir das Ganze abblasen!« Einen Augenblick fragt sie sich, ob sie nicht zu dick aufträgt, aber der jugendliche Appetit für Dramen jeglicher Art ist nicht zu unterschätzen, und sämtliche Teenager in Hauben und Zylindern ächzen protestierend. Obwohl sie wissen, dass sie nur blufft, genießen sie doch die Spannung. Sie legt eine dramatische Pause ein. »So. Sonya, Martin und ich gehen uns jetzt kurz unterhalten, und ich will, dass die anderen sich weiter vorbereiten, sich danach still hinsetzen und ihre Rollen noch mal durchgehen, und dann überlegen wir, wie es weitergeht. Klar? Ob das klar ist?«
    »Ja, Miss!«
    In der Garderobe herrscht Stille, als sie den Kampfhähnen nach draußen folgt, aber sobald sie die Tür hinter sich schließt, fängt der Lärm von vorne an. Sie bugsiert Oliver und den Dodger durch den Flur, vorbei an der Turnhalle, wo das Schulorchester unter der Leitung von Mrs Grainger eine haarsträubend misstönende Version von Consider Yourself zum Besten gibt, und wieder einmal fragt sie sich, worauf sie sich da eingelassen hat.
    Sonya nimmt sie sich zuerst vor. »So. Was war los?«
    Abendlicht scheint schräg durch die großen, doppelt verglasten Fenster von Raum 4D, und Sonya starrt scheinbar gelangweilt auf den Naturwissenschaftstrakt. »Wir hatten Zoff, mehr nicht.« Sie setzt sich auf einen Tisch, lässt die langen Beine baumeln, die in zerfetzen alten Schuluniformhosen und schwarzen Turnschuhen mit Schnallen aus Alufolie stecken. Sie streicht sich über die Impfnarbe, das schmale, harte, hübsche Gesicht angespannt und verschlossen, wie um Emma zu warnen, ihr ja nicht mit diesem Nutze-den-Tag-Scheiß zu kommen. Die anderen Jugendlichen haben Angst vor Sonya Richards, und selbst Emma fürchtet manchmal um ihr Kantinengeld. Es ist dieser unverwandte Blick, die Wut darin. »Ich werd mich nicht entschuldigen«, stößt sie hervor.
    »Und warum nicht? Sag jetzt bitte nicht ›Er hat angefangen‹.«
    Vor Empörung macht sie große Augen. »Hat er aber!«
    »Sonya!«
    »Er hat gesagt …« Sie bricht ab.
    »Was hat er gesagt? Sonya?«
    Sonya überlegt, wägt die Schande zu petzen gegen die Ungerechtigkeit ab. »Er sagt, die Rolle liegt mir, weil ich gar nicht spielen muss, weil ich auch im echten Leben ein Gossenkind bin.«
    »Ein Gossenkind?«
    »Ja.«
    »Das hat Martin gesagt?«
    »Ja, und da hab ich ihm eins aufs Maul gegeben.«
    »Nun.« Emma seufzt und sieht zu Boden. »Erstens ist es egal, was die anderen sagen, ganz egal, was, man darf nicht einfach jemanden schlagen.« Sonya Richards ist ihr Projekt. Eigentlich sollte sie keine Projekte haben, aber Sonya ist so überdurchschnittlich intelligent, die bei weitem Klügste in der Klasse, allerdings auch aggressiv, ein streichholzdünner Ausbund an Trotz und verletztem Stolz.
    »Aber er ist ein kleiner Penner, Miss!«
    »Sonya, bitte lass das!«, sagt sie, obwohl sie insgeheim findet, dass Sonya nicht ganz

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