Zwei an Einem Tag
sprechen …«
»Du hast keine Ahnung, wie sehr …«
»Korsika, reizend …«
»Jeden Tag …«
»Bis dann, machs gut …«
»Warte …« Er hebt die Aktentasche, benutzt sie als Sichtschutz und küsst sie. Wie unauffällig, denkt sie und steht teilnahmslos da. Er öffnet die Tür und steigt ins Auto. Ein marineblauer Sierra, ein richtiges Schulleiterauto, das Handschuhfach voller Straßenkarten. »Ich komm nicht drüber weg, dass sie mich Affenjunge nennen …«, murmelt er kopfschüttelnd.
Sie bleibt auf dem leeren Parkplatz stehen und sieht ihm nach, als er davonfährt. Dreißig Jahre alt, mehr schlecht als recht verliebt in einen verheirateten Mann, aber wenigstens sind keine Kinder im Spiel.
Zwanzig Minuten später steht sie unter dem niedrigen, langgestreckten, roten Backsteingebäude, in dem ihre Wohnung liegt, und bemerkt ein Licht im Wohnzimmerfenster. Ian ist wieder da.
Sie überlegt, ob sie einfach gehen, Zuflucht im Pub suchen oder den Abend bei Freunden verbringen soll, aber sie weiß, Ian wird das Licht löschen, sich in den Sessel setzen und auf sie warten wie ein Meuchelmörder. Sie holt tief Luft und sucht nach den Schlüsseln.
Die Wohnung wirkt viel größer, seit Ian ausgezogen ist. Ohne die Video-Box-Sets, die Ladegeräte, Adapter, Kabel und LP-Klappcover sieht es aus, als sei kürzlich eingebrochen worden, und wieder einmal wird Emma daran erinnert, wie wenig sie aus den letzten acht Jahren vorzuweisen hat. Aus dem Schlafzimmer hört sie ein Rascheln. Sie stellt die Tasche ab und geht leise zur Tür.
Der Inhalt der Kommode ist auf dem Boden verstreut: Briefe, Kontoauszüge, zerrissene Fotoumschläge. Still und unbemerkt steht sie im Türrahmen und beobachtet Ian, der ganz hinten in einer Schublade wühlt und vor Anstrengung ächzt. Er trägt eine Jogginghose, ein zerknittertes T-Shirt, und seine Turnschuhe sind nicht zugebunden. Ein sorgfältig zusammengestelltes Ensemble, das maximales Gefühlschaos suggerieren soll. Das passende Outfit für eine Szene.
»Was tust du da, Ian?«
Einen Moment lang ist er erschrocken, dann starrt er entrüstet zurück, ein selbstgerechter Einbrecher. »Du kommst spät«, sagt er anklagend.
»Was gehts dich an?«
»Bin bloß neugierig, was du treibst , das ist alles.«
»Ich hatte Probe. Ian, ich dachte, wir wären uns einig, dass du hier nicht einfach so reinschneien kannst.«
»Warum, hast du etwa Besuch ?«
»Ian, ich hab so was von keinen Bock auf die Nummer …« Sie stellt die Tasche ab und zieht den Mantel aus. »Wenn du nach einem Tagebuch suchst oder so, verschwendest du deine Zeit. Ich führe schon seit Jahren kein Tagebuch mehr …«
»Um genau zu sein, hole ich nur meine Sachen ab. Es sind meine Sachen, weißt du, sie gehören mir.«
»Du hast deine Sachen schon.«
»Mein Reisepass. Mir fehlt mein Pass.«
»Also, eins ist sicher, in meiner Unterwäscheschublade findest du ihn nicht.«
Das hat er natürlich erfunden. Sie weiß, dass er seinen Pass hat, er will nur ihre Sachen durchwühlen und ihr zeigen, dass es ihm dreckig geht. »Wozu brauchst du den Pass überhaupt? Willst du verreisen? Auswandern vielleicht?«
»Oh, das hättest du wohl gern, was?«, höhnt er.
»Na ja, stören würde es mich nicht«, sagt sie, steigt über das Chaos hinweg und setzt sich aufs Bett.
Mit der Stimme eines hartgesottenen Schnüfflers sagt er: »Tja, Pech , Schätzchen, ich geh nirgendwohin. « Als verschmähter Liebhaber zeigt Ian wesentlich mehr Einsatz und Aggressivität, als er als Stand-up-Komiker je besessen hat, und heute Abend liefert er zweifellos eine beeindruckende Vorstellung. »Könnte ich mir eh nicht leisten.«
Am liebsten möchte sie ihn ausbuhen. »Darf ich dem entnehmen, dass du im Moment nicht besonders viele Auftritte hast, Ian?«
»Was glaubst du , Schätzchen?«, sagt er, breitet die Arme aus und deutet auf den Dreitagebart, das fettige Haar, die bleiche Haut; sein Schau-was-du-mir-angetan-hast-Look. Ian trägt sein Selbstmitleid zur Schau, eine One-Man-Show der Einsamkeit und Verlassenheit, an der er die letzten sechs Monate gefeilt hat, aber zumindest heute Abend hat Emma keine Zeit dafür.
»Was soll diese ›Schätzchen‹-Sache, Ian? Ich weiß nicht, was ich davon halten soll.«
Er sucht weiter und murmelt etwas in die Schublade, vielleicht »Du kannst mich mal, Em«. Ist er betrunken?, fragt sie sich. Auf dem Schminktisch steht eine offene Dose mit starkem, billigem Lager. Betrunken – wenn das keine Idee ist.
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