Zwei auf Achse
Fräulein Ratjen, vor zwölf oder dreizehn Jahren in einer Bar in München, wo ich als Aushilfskellner arbeitete, begegnet bin. Obwohl ich mich an den Namen beim besten Willen nicht erinnere! Die Mädchen in der Bar wurden alle nur mit dem Vornamen angeredet, wißt ihr. Zusammengelebt aber, und das kann ich sogar beschwören“, er lächelte Joachim zu, „habe ich nicht mit ihr. Mit andern Damen übrigens auch nicht. Das konnte ich mir gar nicht erlauben, denn ich holte mein Studium nach, und das kostete nicht nur sehr viel Zeit, sondern auch Geld. Um es deutlich und allgemeinverständlich zu sagen: Ein Kind hat deine Mutter von mir ganz bestimmt nicht. Und darum bin ich also auf gar keinen Fall dein Vater.“ Als die Jungen ihn darauf zweifelnd anblickten, fügte er hinzu: „Das müßt ihr mir schon glauben! Beweisen läßt sich so etwas ja nicht ohne weiteres.“
„Hm“, sagte Joachim, „Ihre Ohren sind allerdings ganz anders als die von Lutz, viel größer und dünner, mit denen scheint es ‘ne totale Fehlanzeige zu sein.“
Herr Telfers lachte.
„Auch die Nasen weisen keine Familienähnlichkeit auf“, fuhr Joachim fort, indem er noch einmal die sehr stattliche Nase von Herrn Telfers, die einen ansehnlichen Höcker besaß, und die winzig kleine Himmelfahrtsnase seines Freundes betrachtete. „Sie sind bestimmt nicht sein Vater.“
Herr Telfers wandte sich zu Lutz um und zündete sich eine Zigarette an.
„Was nun?“ fragte er.
Lutz wurde rot.
„Ich hab’ noch zwei Namen“, sagte er. „Einen in meinem Notizbuch und einen auf einer Geburtstagskarte.“
„Warum fragst du deine Mutter nicht, wer dein Vater ist? Die muß es doch wissen.“
„Er lebt bei seiner Oma“, erklärte Joachim. „Seine Mutter ist vor ein paar Jahren nach Hamburg abgehauen und kümmert sich gar nicht um ihn. Von der erfährt er bestimmt nichts über seinen Vater.“
„Aber deine Oma ist in Ordnung?“
„Die ist prima!“ rief Lutz hastig. „Wenn ich die nicht hätte...“
„Du hast sie aber“, sagte Herr Telfers. „Was willst du mehr? Wer einen Menschen auf der Welt hat, nur einen, den er gern hat und der ihn gern hat, kann sich glücklich schätzen. Ob das sein Vater ist oder seine Mutter, seine Oma oder sonst wer, ist ganz egal. Es kann auch ein ganz Fremder sein. Ich zum Beispiel bin im Waisenhaus aufgewachsen. Meine Eltern sind ganz jung gestorben, ich kann mich nicht mehr an sie erinnern. Aber ich habe auch einen Menschen gehabt, der mich liebte, eine Schwester aus dem Waisenhaus. Sie war wie eine Mutter zu mir, und ihr verdanke ich es, daß ich die vielen andern Kinder, die mit mir zusammen in ihrer Gruppe waren, immer für meine Geschwister gehalten habe und glücklich aufwuchs. Und das allein zählt im Leben. Wenn deine Oma ein lieber Mensch ist und für dich sorgt, hast du alles, was du brauchst. Gib die Suche nach deinem Vater auf! Vielleicht wärst du von ihm enttäuscht, und das wäre viel schlimmer. Jetzt kannst du dir immer einbilden, er sei ein ganz toller Mann.“ Lutz blickte auf den Teppich hinunter.
„Vielen Dank für den guten Rat“, sagte er leise, „es mag schon stimmen, was Sie sagen, aber ich muß meinen Vater dennoch finden, unbedingt!“
Sie bummelten langsam in die Innenstadt zurück.
„Nun mach nur nicht so ein Weltuntergangsgesicht“, sagte Joachim. „Du kannst nicht erwarten, daß gleich der erste der Richtige ist! Solche Zufälle gibt es nicht im Leben.“ In einem Schnell-Imbiß aßen sie drei Weißwürste und tranken eine Radlerhalbe. Davon wurden sie so müde, daß sie nur noch den Wunsch hatten, sich irgendwo hinzulegen und zu schlafen.
„Ich hab’ ein Gefühl, als ob ich Blei in den Beinen hätte“, sagte Lutz.
„Ich auch“, stöhnte Joachim. „Am liebsten würde ich mich hier aufs Pflaster packen und ‘ne Runde pennen. Gibt es nicht einen Park in der Nähe?“
Sie fragten eine Dame, die gerade vorüberkam. Die wies ihnen den Weg in den Englischen Garten.
Lutz wollte sich dort gleich auf die erste Bank setzen, aber Joachim zerrte ihn weiter.
„Wir wollen nicht sitzen“, sagte er, „wir wollen liegen. Das kann man zwar auch auf einer Bank, aber in unserm Fall ist das nicht zu empfehlen, sonst halten uns die Leute gleich für Pennbrüder und hetzen die Polizei auf uns.“
Sie krochen in einen mächtigen Rhododendronbusch, weitab vom Weg, streckten sich dort auf den Boden, schoben sich Campingbeutel und Lufthansatasche unter den Kopf und
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