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Zwei auf Achse

Zwei auf Achse

Titel: Zwei auf Achse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Schrader
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lasen die Namen an der Haustür. Ein Schnüpfing war nicht dabei.
    „Der wohnt hier ja gar nicht!“ rief Lutz. Es klang fast ein wenig erleichtert. „Vielleicht ist er umgezogen, und seine neue Adresse steht noch nicht im Telefonbuch?“
    „Möglich“, sagte Joachim, „das Telefonbuch sah ja auch aus, als wäre es noch vom Dreißigjährigen Krieg übriggeblieben. Auf alle Fälle klingeln wir mal und erkundigen uns bei den Leuten hier, ob sie wissen, wo dein Vater zu erreichen ist.“
    Er drückte auf den unteren der beiden Klingelknöpfe und trat einen Schritt zurück.
    Es dauerte keine halbe Minute, da wurde die Tür geöffnet. Eine ältere Dame kam heraus und sah sie fragend an. Der Geruch nach gebratenem Fleisch wehte hinter ihr her. „Entschuldigen Sie“, sagte Joachim, „wir wollten eigentlich zu Herrn Schnüpfing, aber der scheint hier ja gar nicht mehr zu wohnen. Können Sie uns nicht sagen, wo wir ihn finden können?“
    Die Frau kniff die Augen zusammen und musterte die Jungen eingehend.
    „Wer seid ihr denn?“ fragte sie schließlich gedehnt. „Seid ihr mit Herrn Schnüpfing verwandt?“
    „Verwandt? Wieso? Wie kommen Sie denn darauf?“ stotterte Lutz.
    „Weil du ihm sehr ähnlich bist“, antwortete die Frau. Joachim warf Lutz einen schnellen Blick zu und rief: „Natürlich sind wir mit Herrn Schnüpfing verwandt, ziemlich weitläufig nur, so um drei Ecken rum, wie man sagt, aber immerhin. Er ist so ‘ne Art Großonkel von uns, und wir haben ihn noch nie gesehen. Aber jetzt sind wir zufällig mit der Klasse hier, und da hat unsere Mutter uns beauftragt, mal hinzugehen. Wohnt er denn überhaupt noch in diesem Haus? Weil doch sein Name nicht an der Tür steht?“ Die Frau schüttelte den Kopf.
    „Nein“, sagte sie, „seit einem halben Jahr wohnt er nicht mehr hier.“
    „Nicht mehr hier?“ fragte Lutz und konnte das Zittern in seiner Stimme nicht unterdrücken. „Wo wohnt er denn jetzt bitte?“
    Die Frau hob die Schultern, als wolle sie damit andeuten, daß sie die Adresse nicht kenne, und antwortete: „Ich weiß nicht, ob ich es euch sagen soll. Vielleicht ist es ihm gar nicht recht.“
    „Wieso nicht?“ fragte Lutz erstaunt. „Will er keinen Besuch haben?“
    Die Frau sah ihn unschlüssig an.
    „Doch, doch“, sagte sie, „er hat schon gern Besuch. Ich war auch mal bei ihm, vor acht Wochen etwa, aber wenn ihr gar nicht wißt, was vorgefallen ist...?“ Sie machte eine längere Pause.
    Die Jungen sahen ihr an, daß sie nicht wußte, wie sie sich verhalten sollte.
    „Was ist denn vorgefallen?“ fragte Joachim. „Hat er sich scheiden lassen oder sowas?“
    Die Frau winkte ab.
    „Wenn’s nur das wäre!“ sagte sie. „Das ist ja heutzutage nichts Besonderes mehr. Ja, geschieden ist er auch. Seine Frau hat die Scheidung gewollt, und unter den gegebenen Umständen ging auch alles sehr schnell vonstatten. Er hat natürlich die Schuld gekriegt, ist ja klar.“ Sie seufzte und schüttelte den Kopf. „Dabei weiß ich genau, daß sie ihn dazu gebracht hat, daß er... daß es soweit mit ihm gekommen ist.“
    „Ich verstehe nicht, was Sie meinen“, sagte Lutz, der seine Erregung kaum noch verbergen konnte.
    „Ich auch nicht!“ rief Joachim ungeduldig. „Wenn Sie uns verraten, wo wir ihn antreffen, kann er uns ja alles selbst erzählen.“
    Die Frau kratzte sich an der Nase.
    „Na ja“, sagte sie, „ihr seid ja schließlich Verwandte und werdet es doch eines Tages erfahren. Ob ihr es nun von mir hört oder von einem andern, ist letzten Endes egal. Also, euer Großonkel hat da so ein Ding gedreht, irgend etwas Ungesetzliches, versteht ihr? Genaues weiß ich auch nicht. Als die Sache herauskam, war er natürlich geliefert. Von heute auf morgen war alles aus.“
    Die Frau schwieg und blickte den beiden Jungen in die blassen Gesichter, wobei sie kaum merklich den Kopf schüttelte, wohl um damit ihr Bedauern und Mitgefühl auszudrücken.
    „Euern Großonkel traf es sehr, daß sich die Menschen von ihm abwandten und er ins Gefängnis sollte“, fuhr sie schließlich fort. „Er war darüber so unglücklich, daß er sich das Leben nehmen wollte. Hier bei mir im Haus! Er ging in die Küche, schloß Türen und Fenster und drehte den Gashahn auf. Das war an einem Donnerstag, so wie heute. Ich war gar nicht zu Hause, donnerstags haben wir nämlich immer unser Kränzchen. Und wenn nicht an dem Tage gerade die Zeitungsfrau gekommen wäre, um zu kassieren, wäre er nicht gerettet worden!

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