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Zwei bemerkenswerte Frauen

Zwei bemerkenswerte Frauen

Titel: Zwei bemerkenswerte Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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Days nicht mehr so oft. Nur manchmal mussten sie mir Felsplatten in die Werkstatt tragen.
    Trotzdem war mir ihre Meinung wichtig, und ich freute mich, weil er anscheinend mit dem, was ich bisher gemacht hatte, zufrieden war. «Was hast du gefunden?»
    Davy Day kratzte sich den Kopf. «Weiß nicht. Vielleicht so ’ne Schildkröte.»
    «Einen Plesi? Bist du dir sicher?»
    Davy scharrte unsicher mit den Füßen. «Na ja, könnte auch ’n Kroko sein. Hab den Unterschied nie begriffen.» Vor kurzem hatten die Days mit Steinbrucharbeiten im Blauen Lias der Küste begonnen und fanden in den Felsschichten in der Nähe von Lyme oft Versteinerungen. Was genau sie ausgruben, interessierte sie nicht, solange wir Geld damit verdienten. Es kamen oft Leute mit ihren Funden zu mir und wollten wissen, was es war. Meistens handelte es sich um kleine Ichie-Teile – Kieferknochen, ein paar Zähne oder einige zusammenhängende Wirbel.
    Ich nahm meinen Hammer und meinen Korb. «Tray, sitz!», befahl ich und zeigte mit einem Fingerschnippen an die Stelle. Tray kam vom Wasser, wo er die Wellen gejagt hatte, herbeigerannt. Er rollte seinen schwarzweißen Körper zusammen und legte sein Kinn auf den Stein neben dem Ichie. Er war ein braver kleiner Hund, aber wenn sich jemand einem meiner Funde näherte, knurrte er.
    Ich folgte Davy Day um die Kurve, hinter der Lyme lag. Die Sonne leuchtete auf die Häuser, die sich an den Hügeln hochzogen, und die See glitzerte silbern wie ein Spiegel. Die im Hafen festgemachten Boote lagen dort, wo die Ebbe sie auf dem Meeresboden abgesetzt hatte, als hätte jemand bunte Stöcke verstreut. Mir wurde ganz warm ums Herz, so sehr liebte ich diesen Anblick. «Mary Anning, du bist der berühmteste Mensch in dieser Stadt», sagte ich zu mir. Ich wusste genau, dass ich zu stolz war. Das war eine Sünde, und ich sollte besser in die Kirche gehen und um Vergebung dafür bitten, aber ich konnte nicht anders. Ich hatte es weit gebracht, seit Miss Elizabeth vor vielen Jahren, als ich noch jung, arm und dumm war, zum ersten Mal die Days für uns arbeiten ließ. Jetzt kamen die Leute, um mich zu sehen, und es wurde über meine Funde geschrieben. Wie soll einem das nicht zu Kopfe steigen? Selbst die Menschen in Lyme waren jetzt netter zu mir, und sei es nur, weil ich mehr Feriengäste anlockte und sie dadurch bessere Geschäfte machten.
    Wenn mich aber etwas davon abhielt, die Nase zu hoch zu tragen, war das der kleine Stich im Herzen, den ich immer spürte. Elizabeth Philpot war nicht mehr in Lyme, und so hatte ich niemanden mehr, mit dem ich über meine Funde und das, was in der Stadt über mich geklatscht wurde, sprechen konnte.
    «Hier ist’s.» Davy Day zeigte auf seinen Bruder, der am Strand saß und ein Stück Schweinepastete in seiner großen Pranke hielt. In einer Holztrage neben ihm lag eine Ladung gebrochener Steine. Billy Day nickte mir mit vollem Mund zu.
    Billy gegenüber fühlte ich mich immer ein bisschen befangen, weil er jetzt mit Fanny Miller verheiratet war. Er sagte zwar nie was, doch ich fragte mich oft, ob Fanny schlecht über mich redete. Da Steinbrucharbeiter nicht als gute Partien galten und wirklich nur von den Frauen erhört wurden, die keinen anderen mehr kriegen konnten, war ich zwar nicht gerade eifersüchtig auf sie, aber ihre Ehe erinnerte mich daran, dass ich zu den Verliererinnen gehörte, die niemals heiraten würden. Fanny bekam immer, was ich nur einmal mit Colonel Birch im Obstgarten erlebt hatte. Zwar hatte ich meinen Ruhm und Geld als Trost, aber das war schließlich nicht alles. Ich konnte Fanny nicht hassen, weil ich die Schuld daran trug, dass sie verkrüppelt war, aber ich konnte sie auch nicht mögen oder mich in ihrer Gegenwart wohl fühlen.
    So ging es mir mit den meisten Menschen in Lyme. Ich gehörte nirgendwo dazu. Eine feine Dame wie die Philpots würde ich niemals werden. Nie würde mich irgendjemand Miss Mary nennen, ich würde einfach immer nur Mary Anning sein. Und trotzdem war ich auch nicht wie die anderen Menschen aus der Arbeiterklasse. Ich steckte irgendwo dazwischen, und so würde es immer bleiben. Das machte mich zwar frei, aber auch einsam.
    Zum Glück gab es am Strand und in den Klippen genug, um mich von mir und meinem Schicksal abzulenken. Davy Day zeigte auf eine lange Felskante, und ich beugte mich vor. Ich erkannte eine sehr deutliche, ungefähr einen Meter lange Wirbelkette. Es war so offensichtlich, dass ich grinsen musste. Schon Hunderte von

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