Zwei bemerkenswerte Frauen
Schiffsbauindustrie in Lyme. Aber die einheimischen Familien diskutierten lieber über notwendige Reparaturen an der ramponierten Strandmauer, über das kürzlich eröffnete Badehaus, das aufgrund seines Erfolges sicher bald von anderen Städten kopiert würde, oder erörterten allen Ernstes, ob die städtische Mühle das Mehl fein genug mahle. Manchmal ließen sich die Sommergäste, die wir im Ballsaal, in der Kirche oder bei Tee-Einladungen trafen, in ein Gespräch über wichtigere Dinge verwickeln, aber viele von ihnen verreisten ja gerade, um eine Weile den ernsteren Themen zu entfliehen, weshalb sie den Tratsch und Klatsch der Einheimischen durchaus genossen.
Besonders enttäuschend war, dass ich die vielen Fragen, die mir durch meine mysteriösen Fossilienfunde im Kopf herumgingen, nicht aussprechen konnte. Die Ammoniten zum Beispiel, die auffälligsten und eindrucksvollsten Fossilien, die man in Lyme fand: Was genau waren sie? Dass es sich um Schlangen handelte, wie die meisten felsenfest glaubten, bezweifelte ich. Warum sollten sie sich so rund zusammenrollen? Ich hatte noch nie von Schlangen gehört, die so etwas taten. Und wo waren ihre Köpfe? Jeden Ammoniten, den ich fand, studierte ich sorgfältig, entdeckte aber nie die Spur eines Kopfes. War es nicht ausgesprochen seltsam, dass ich so viele Versteinerungen von ihnen am Strand fand, aber nie ein lebendes Exemplar zu Gesicht bekam?
Andere Menschen schienen sich solche Fragen nicht zu stellen. Ständig hoffte ich, dass mich eines Tages jemand bei einer Tee-Einladung in unserem Salon ansprechen würde: «Wissen Sie, Miss Philpot, Ammoniten erinnern mich irgendwie an Schlangen. Glauben Sie, dass es sich um eine Schlangenart handelt, die wir nicht kennen?» Stattdessen unterhielt man sich über die matschige Straße, die von Charmouth herführte, über die geeignete Garderobe für den nächsten Ball oder den Wanderzirkus, den man in Bridport zu besuchen gedachte. Kam das Gespräch überhaupt jemals auf Fossilien, dann nur, um sich über mein Interesse zu wundern: «Was finden Sie nur an diesen toten Steinen?», fragte mich einmal eine neue Freundin Margarets aus dem Ballsaal.
«Fossilien sind mehr als nur tote Steine», versuchte ich zu erklären. «Es sind Körper, die zu Stein geworden sind, Körper von Kreaturen, die vor langer Zeit gelebt haben. Wenn man so eine Versteinerung findet, ist es das erste Mal seit Tausenden von Jahren, dass sie jemand sieht.»
«Wie eklig!», rief die junge Frau und drehte sich weg, um Margarets Klavierspiel zu lauschen. Unsere Gäste hielten sich meist an Margaret, da sie Louise zu still und mich zu sonderbar fanden. Margaret hingegen war immer amüsant.
Lediglich Mary Anning teilte meine Begeisterung und Neugierde, aber für ernste Gespräche und Fragen war sie noch zu jung. In jenen ersten Jahren kam es mir manchmal so vor, als warte ich nur darauf, dass sie endlich älter wurde und mir die ersehnte Gefährtin sein konnte. Genau so sollte es kommen.
Anfangs glaubte ich, in Henry Hoste Henley, dem Lord von Colway Manor und Parlamentsabgeordneten von Lyme Regis, einen Gesprächspartner für das Thema Fossilien gefunden zu haben. Er lebte in einem großen Gutshaus vor den Toren der Stadt, etwa eine Meile vom Morley Cottage entfernt am Ende einer langen Allee. Lord Henley hatte eine weit verzweigte Familie; neben seiner Frau und den vielen Kindern gab es noch die Henleys im mehrere Meilen landeinwärts gelegenen Chard, so dass es auf Colway Manor immer von Gästen wimmelte. Auch wir wurden gelegentlich eingeladen – zum Dinner, zu ihrem Weihnachtsball oder zum Beginn der Jagdsaison, wenn die Gäste Lord Henley dabei zuschauen konnten, wie er den Jägern vorm Losreiten Port und Whiskey ausschenkte.
Die Henleys waren die beste Familie, die Lyme zu bieten hatte. Gesellschaftlich standen sie auf einer Stufe mit dem niederen Adel, nur klebte Lord Henley immer noch Schmutz an den Stiefeln und unter den Fingernägeln. Dafür besaß er eine eigene Fossiliensammlung, und als er mitbekam, dass sie mich interessierte, wies er mir beim Dinner einen Platz an seiner Seite zu, damit wir uns unterhalten konnten. Trotz meiner anfänglichen Begeisterung war mir schon nach wenigen Minuten klar, dass Lord Henley nichts über Fossilien wusste, außer, dass man sie sammeln und sich damit einen Anschein von Weltgewandtheit und Intelligenz geben konnte. Er gehörte zu den Männern, die mit den Füßen führen statt mit dem Kopf. Ich versuchte
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