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Zwei bemerkenswerte Frauen

Zwei bemerkenswerte Frauen

Titel: Zwei bemerkenswerte Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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ihn mit der Frage aus der Reserve zu locken, was denn seiner Meinung nach Ammoniten seien. Lord Henley schmunzelte und nahm einen großen Schluck aus seinem Weinglas. «Hat Ihnen das noch niemand gesagt, Miss Philpot? Es sind Würmer!» Er knallte sein Glas auf den Tisch, ein Signal für den Diener, ihm nachzuschenken.
    Ich dachte über seine Antwort nach. «Aber warum sieht man sie nur zusammengerollt? Ich habe noch nie einen lebenden Wurm gesehen, der sich so zusammenrollt. Auch keine Schlange. Manche behaupten ja, es handele sich um Schlangen.»
    Unterm Tisch scharrten Lord Henleys Füße ungeduldig über den Boden. «Ich gehe davon aus, dass Sie auch noch nicht viele Menschen gesehen haben, die ihre Hände über der Brust zusammenfalten, wenn sie auf dem Rücken liegen, oder Miss Philpot? Und trotzdem begraben wir sie genau so. Die Würmer rollen sich im Tod zusammen.»
    Ich musste ein verächtliches Schnaufen unterdrücken, denn ich stellte mir gerade bildlich vor, wie eine Beerdigungsversammlung von Würmern einen toten Artgenossen zusammenrollte. Eine groteske These, doch Lord Henley schien fest an sie zu glauben. Trotzdem sah ich davon ab, weiter nachzubohren, denn Margaret schüttelte am unteren Ende des Tisches warnend den Kopf, und der Mann, der mir gegenübersaß, zog angesichts unseres unappetitlichen Gesprächsthemas indigniert die Augenbrauen hoch.
    Heute weiß ich, dass Ammoniten Meereslebewesen waren und mit ihren Gehäusen und den tintenfischähnlichen Tentakeln dem Nautilus gleichen. Ich wünschte, ich hätte dies Lord Henley während jenes Dinners sagen können, als er so selbstgefällig über zusammengerollte Würmer dozierte; aber damals verfügte ich weder über das Wissen noch über das Selbstbewusstsein, ihn zu korrigieren.
    Als er mir später seine Sammlung zeigte, verriet Lord Henley weitere Wissenslücken, da er die einzelnen Ammoniten nicht voneinander unterscheiden konnte. Ich deutete auf ein Exemplar mit sehr geraden und in regelmäßigen Abständen über die Spirale verteilten Lobenlinien und verglich es mit einem anderen, bei dem jede Linie zwei kleine Buckel hatte, die sich aus der Spirale hervorhoben. Er tätschelte mir die Hand: «Was für eine kluge junge Dame Sie sind», sagte er, schüttelte dabei aber gleichzeitig den Kopf, als wolle er sein Kompliment wieder zurücknehmen. In dem Moment war mir klar, dass wir beide niemals ernsthaft über Fossilien debattieren würden. Ich hatte Geduld und ein Auge für Details, zwei Eigenschaften, die man fürs Studium von Ammoniten braucht, während Lord Henley grober gestrickt war, woran er nicht gern erinnert wurde.
    James Foot war ein Freund der Henleys. Vermutlich waren wir uns bereits auf dem Weihnachtsball auf Colway Manor begegnet, zu dem halb Westdorset eingeladen wurde, doch bewusst hörten Louise und ich seinen Namen erstmals beim Frühstück nach einem der Sommerbälle im Ballsaal.
    «Ich bringe keinen Bissen hinunter», erklärte Margaret, kaum dass sie sich an den Tisch gesetzt hatte, und ließ den Teller mit Räucherfisch weitergehen. «Ich bin viel zu aufgeregt!»
    Louise verdrehte die Augen, und ich schmunzelte in meine Teetasse. Derlei Äußerungen von Margaret waren uns nur zu vertraut, denn sie gab sie mehr oder weniger nach jedem Ball von sich. Obwohl wir uns insgeheim über sie lustig machten, ließen wir sie gern gewähren, denn schließlich gab es sonst wenig, worüber wir hätten lachen können.
    «Und wie heißt er diesmal?», fragte ich.
    «James Foot.»
    «Wirklich? Foot wie Fuß? Sind seine Füße denn das, worauf du schon immer gewartet hast?»
    Margaret schnitt mir eine Grimasse und nahm sich eine Scheibe Toast aus dem Ständer. «Er ist ein Gentleman», erklärte sie, während sie den Toast zwischen den Fingern zerbröselte. Bessy würde die Krümel später für die Vögel auf den Rasen werfen. «Und ein Freund von Lord Henley. Er besitzt einen Hof in der Nähe von Beaminster, außerdem ist er ein hervorragender Tänzer. Schon am letzten Dienstag hat er mich um den ersten Tanz gebeten!»
    Ich beobachtete, wie sie mit dem Toast herumspielte. Obwohl ich solche Worte von ihr kannte, war diesmal etwas anders. Es war Margaret selbst. Sie wirkte einerseits entschlossener, andererseits aber auch verschlossener als sonst und hielt den Kopf gesenkt, als würde sie uns etwas verheimlichen. Sie schien in sich hineinzuhorchen, als wolle sie sich über die neuen Gefühle im Klaren werden, die sie selbst noch nicht ganz

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