Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zwei bemerkenswerte Frauen

Zwei bemerkenswerte Frauen

Titel: Zwei bemerkenswerte Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
Vom Netzwerk:
ich wirklich schon spät dran fürs Essen», fuhr Reverend Jones fort. Er nahm die Bibel mit, eine Geste, die anzudeuten schien, ich könnte sie stehlen. Genauso gut hätte er sagen können: «Stellen Sie mir keine so schweren Fragen.»
    Ich habe mit Reverend Jones nie wieder über Fossilien gesprochen.
    Lord Henley musste fast die kompletten zwei Jahre abwarten, bis der Körper des Krokodils ans Licht kam. In der ersten Zeit sprach er mich jedes Mal an, wenn ich ihm in der Kirche, im Ballsaal oder auf der Straße begegnete: «Was macht der Körper? Haben Sie ihn schon ausgegraben?» Dann musste ich erklären, dass der Erdrutsch noch immer im Weg lag und sich nicht so ohne weiteres wegräumen ließ. Lord Henley schien das nicht zu verstehen, deshalb führten Mary, Joseph und ich ihn eines Tages an den Strand, damit er den Erdrutsch mit eigenen Augen sah. Er reagierte verblüfft – und wütend. «Niemand hat mir gesagt, dass er von so viel Geröll zugeschüttet ist», wetterte er und trat gegen einen Lehmklumpen. «Sie haben mich hinters Licht geführt, Miss Philpot, Sie und die Annings.»
    «Nein, das stimmt nicht, Lord Henley», erwiderte ich. «Wir haben gesagt, dass es bis zu zwei Jahre dauern kann, bis der Körper wieder frei kommt. Bitte vergessen Sie das nicht. Und wenn es uns in dieser Frist nicht gelingt, ihn auszugraben, bekommen Sie den Schädel ohne ihn.»
    Lord Henley wollte nichts mehr hören. Zornesrot stieg er auf sein graues Pferd, ohne das er sich keinen Schritt weit bewegte, und galoppierte über den Strand davon, dass das Wasser hoch aufspritzte.
    Es war Molly Anning, die ihn schließlich zur Raison brachte. Als er sich bei ihr beschwerte, ließ sie ihn einfach in Ruhe schimpfen, bis ihm die Worte und der Atem ausgingen. «Wenn Sie Ihre drei Pfund wiederhaben wollen, bekommen Sie die auf der Stelle», sagte sie dann. «Es stehen schon genügend Leute Schlange, die den Schädel kaufen wollen, und zwar zu einem besseren Preis. Hier, nehmen Sie Ihr Geld.» Sie langte in ihre Schürzentasche, als befände sich dort etwas anderes als Luft, denn das Geld hatten die Annings längst ausgegeben. Lord Henley gab natürlich nach. Ich beneidete Molly um ihr Selbstbewusstsein diesem Mann gegenüber, was ich ihr aber nicht sagte, sie hätte nur spöttisch geantwortet: «Und ich beneide Sie um Ihre hundertfünfzig Pfund im Jahr.»
    Irgendwann erlahmte Lord Henleys Interesse an dem Krokodil. Fossiliensammler brauchen Geduld, doch über die verfügten nur Mary, William Lock und ich. Nach jedem Sturm und nach jeder Springflut schauten wir an der Stelle des Erdrutsches nach. Mary tat alles, um als Erste dort zu sein, doch manchmal kam ihr William Lock zuvor. Zum Glück lag der Stallknecht an dem Tag, als Mary das Krokodil fand, mit Fieber im Bett.
    Wir waren früh auf den Beinen, denn es hatte zwei Tage lang so schwer gestürmt, dass wir uns nicht nach draußen getraut hatten. Als ich am dritten Morgen wach wurde, war es ungewohnt still. Auf der Stelle sprang ich aus dem warmen Bett, zog mich hastig an, schnappte mir Mantel und Haube und eilte los.
    Die Sonne stand als fahle Scheibe hinter Portland, und der Strand war bis auf die Umrisse einer vertrauten Person in der Ferne menschenleer. Als ich ans Ende der Church Cliffs kam, sah ich, dass der Erdrutsch verschwunden war. Der Sturm hatte den Strand sauber gefegt, als würde ein besonderer Gast erwartet. Mary war auf den Felsvorsprung vor dem Loch geklettert und hämmerte auf die Klippenwand ein. Als ich ihren Namen rief, drehte sie sich um. «Miss Philpot, es ist hier! Ich habe es gefunden!», rief sie und sprang von der Kante herunter. Wir lächelten uns an. Bevor der ganze Rummel losging, genossen wir diesen kurzen Moment der Einsamkeit in der Morgendämmerung und das durch nichts getrübte Gefühl, gemeinsam einen Schatz gefunden zu haben.
    Die Day-Brüder brauchten drei Tage, an denen sie je nach Gezeitenstand arbeiteten, bis sie den Fund ausgegraben hatten. Als sie die einzelnen Felsplatten aus der Klippe zogen und auf den Strand legten, kam es mir vor, als würde vor unseren Augen ein Mosaik zusammengesetzt. Genau wie bei der Freilegung des Schädels hatte sich eine Menschenmenge versammelt, um den Days zuzusehen und einen Blick auf das Krokodil zu erhaschen. Einige waren fasziniert und spekulierten erregt über seine Herkunft, während andere zwar das Spektakel genossen, den Fund aber mit finsterer Miene betrachteten. «Das war sicher ein Ungeheuer»,

Weitere Kostenlose Bücher