Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zwei bemerkenswerte Frauen

Zwei bemerkenswerte Frauen

Titel: Zwei bemerkenswerte Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
Vom Netzwerk:
ist und wie es aussieht. Aber jetzt, wo wir’s wissen, können Joe und ich leicht noch mehr finden. Stimmt’s, Joe?»
    Joe ließ sich mit seiner Antwort Zeit. Er spielte mit einem Stück Bindfaden herum und zwirbelte es sich um die Finger.
    «Joe?»
    «Ich will keine Krokodile suchen», sagte er mit leiser Stimme. «Ich will Polsterer werden. Mr Reader hat schon gesagt, dass er mich nimmt.»
    Vor Überraschung fehlten mir die Worte.
    «Polsterer?» Miss Philpot war schneller. «Das ist ein nützliches Handwerk, aber warum gerade dieses?»
    «Weil man da im Haus arbeiten kann und nicht nach draußen muss.»
    Ich hatte meine Stimme wiedergefunden. «Aber Joe, willst du keine Kroks mehr mit mir suchen? War es nicht toll, wie wir es ausgegraben haben?»
    «Es war kalt.»
    «Sei nicht so blöd! Kälte macht doch nichts!»
    «Mir schon.»
    «Wie kannst du an die Kälte denken, wenn draußen diese Tiere auf uns warten? Wir müssen sie nur noch finden. Es ist wie ein Schatz, der über den ganzen Strand verstreut liegt. Wir können mit den Kroks reich werden! Und du sagst, es ist zu kalt?»
    Joe wandte sich an Mam. «Ich will für Mr Reader arbeiten, Mam. Was meinst du?»
    Bislang hatten Mam und Miss Elizabeth unserem Streit schweigend zugehört. Sie mussten sich auch gar nicht einmischen, weil Joe schon längst eine Entscheidung getroffen hatte, die ihnen recht war. Ich wollte gar nicht mehr wissen, was sie zu sagen hatten, sondern sprang auf und rannte nach unten in die Werkstatt. Lieber arbeitete ich an dem Krok, als mir ihr Gerede anzuhören, mit dem sie Joe vom Strand weglockten. Arbeit hatte ich schließlich genug.
    Mit Kopf und Körper war die Riesenbestie gute fünf Meter lang. Was für Mühe es gekostet hatte, sie aus der Klippe freizukriegen! Die Days und ich hatten drei geschlagene Tage gebraucht, an denen wir, wenn die Gezeiten es zuließen, pausenlos arbeiteten. Da das vollständige Fossil zu groß war, um es auf dem Tisch auszubreiten, mussten wir das Krok auf den Boden der Werkstatt legen. Im Dämmerlicht des Kellers sah es dort nur wie ein großer Haufen aus Steinknochen aus. Schon seit einem Monat war ich damit beschäftigt, das Fossil zu reinigen, und es würde trotzdem noch eine Weile dauern, bis ich es aus dem Stein lösen konnte. Meine Augen brannten, weil ich sie beim Arbeiten dauernd zusammenkniff und Staub hineinrieb.
    Damals war ich zu jung, um Joes Wahl zu begreifen, aber später erkannte ich, dass er sich für ein ganz normales geordnetes Leben entschieden hatte. Er wollte nicht, dass die Leute so über ihn redeten, wie sie über mich redeten; er wollte nicht verspottet werden, weil er alte Kleider trug und so viel Zeit allein am Strand verbrachte, wo ihm nur die Steine Gesellschaft leisteten. Er wollte das, was alle in Lyme wollten – Sicherheit und ein wenig Ansehen, und die Lehre war der beste Weg dahin. Ich konnte nichts dagegen tun. Wie hätte ich mich entschieden, wenn man mir ein ähnliches Angebot wie Joe gemacht hätte – vorausgesetzt, ein Mädchen hätte ein Handwerk erlernen dürfen? Hätte ich es wie Joe gemacht und wäre Schneiderin, Fleischerin oder Bäckerin geworden?
    Nein. Die Kuris waren mein Leben. Trotz all der schlimmen Dinge, die ich im Lauf der Jahre am Strand erlebte, hätte ich sie niemals gegen eine Nadel, ein Fleischermesser oder einen Backofen eingetauscht.
    «Mary.» Miss Philpot stand über mir. Ich antwortete nicht, denn ich war immer noch wütend, dass sie sich auf Joes Seite geschlagen hatte. Ich nahm mir eine Klinge und kratzte an einem Wirbel herum. Es war einer in einer langen Reihe von Wirbeln, die wie ein Stapel winziger Untertassen ineinandersteckten.
    «Joseph hat eine vernünftige Wahl getroffen», sagte sie. «Es ist besser so, auch für dich und deine Mutter. Das heißt doch nicht, dass du nicht weiter nach Fossilien suchen kannst. Oder brauchst du etwa Joseph, um sie zu finden? Jetzt, wo du weißt, wonach du suchst, schaffst du es auch allein, außerdem kannst du zum Ausgraben die Days anheuern, so wie beim letzten Mal. Bis du alt genug bist, um allein mit den Männern umzugehen, kann ich dir helfen. Auch deiner Mutter habe ich meine Hilfe beim geschäftlichen Teil angeboten, aber sie meint, sie kommt schon allein zurecht. Mit Lord Henley hat sie es schon sehr gut gemacht.» Miss Philpot kniete neben dem Krok nieder und fuhr mit der Hand über seine Rippen, die flachgedrückt und ineinander verzahnt waren wie die Ruten eines Weidenkorbs. «Wie schön

Weitere Kostenlose Bücher