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Zwei bemerkenswerte Frauen

Zwei bemerkenswerte Frauen

Titel: Zwei bemerkenswerte Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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ihre Voreingenommenheit und Kaltherzigkeit jederzeit Paroli zu bieten gedachte.
    Ich stellte mich der Herausforderung nicht, denn es wäre dem Versuch gleichgekommen, eine Flut einzudämmen. Stattdessen strich ich mit erhobenen Augenbrauen über einen Brotlaib und sagte mit laut schallender Stimme: «Mit altbackenem Brot kann ich heute wirklich nichts anfangen. Ich komme an einem anderen Tag wieder.» Doch es verschaffte mir nur kurze Befriedigung, denn da Simeon Anning der einzige Bäcker in Lyme war, würden wir weiterhin bei seiner Frau einkaufen müssen, wenn wir essbares Brot wollten und nicht die Ziegelsteine, die Bessy backte. Außerdem waren meine Worte dumm und belanglos und würden Mary kaum helfen. Mit rotem Gesicht rauschte ich aus dem Laden. Das Gelächter, das mir folgte, machte alles noch schlimmer. Ich fragte mich, ob ich dort jemals wieder den Mund aufmachen konnte, ohne mich wie eine Närrin zu fühlen.
    In jenem Winter waren die Suppen im Haus der Annings so dünn wie das Feuer schwach, doch während Molly und Joseph Anning unter der materiellen Not litten, nahm Mary die kargen Mahlzeiten und die Frostbeulen an ihren Händen und Füßen kaum wahr. Sie litt innerlich.
    Sie kam uns nach wie vor im Morley Cottage besuchen, hielt sich jetzt aber lieber an Margaret, denn bei meiner Schwester fand sie das Mitgefühl, das Louise und ich nicht aufbringen konnten. Wir hatten nicht wie Margaret und Mary einen Mann verloren, außerdem lag es uns nicht, uns zu verstellen. Allerdings ging Mary zu jenem Zeitpunkt noch nicht davon aus, dass sie Colonel Birch verloren hatte. Lange Zeit hoffte sie und vermisste einfach nur seine Nähe, die sie den ganzen Sommer über genossen hatte. Sie wollte über ihn reden, und zwar mit einer Person, die ihn kannte und mochte oder wenigstens nicht, wie ich, kritisch über seinen Charakter herzog. Margaret war Colonel Birch öfters im Ballsaal begegnet, sie hatte mit ihm Karten gespielt und sogar zweimal mit ihm getanzt. Während ich mich am Esstisch mit meinen Fossilien beschäftigte, konnte ich Mary und Margaret im Nebenzimmer hören. Immer wieder musste Margaret beschreiben, wie sie mit Colonel Birch getanzt hatte. Mary wollte wissen, was er angehabt hatte, wie er sich bewegte, wie er beim Tanzen führte und worüber sie dabei geplaudert hatten. Dann wollte sie alles über ihre Kartenpartien wissen, was genau sie gespielt hatten, ob er gewonnen oder verloren habe und was er dazu sagte. Margaret hatte sich solche Einzelheiten nicht gemerkt, denn für sie war Colonel Birch kein unvergesslicher Tanz- oder Spielpartner gewesen. Seine Eitelkeit und das unbeirrbare Selbstvertrauen waren selbst ihr zu viel gewesen. Doch für Mary erfand sie zu dem Wenigen, an das sie sich erinnerte, Einzelheiten hinzu, bis sich ein vollständiges Bild von Colonel Birch in den Stunden seines Müßiggangs ergab. Mary sog jedes einzelne Detail begierig auf, um es zu speichern und sich später erneut daran zu ergötzen.
    Am liebsten hätte ich Margaret befohlen, sie solle damit aufhören, denn ich fand es unerträglich, wie das arme Mädchen ihr für ein paar bruchstückhafte Erinnerungen an höfliche Tänze und gelangweilte Kartenspiele an den Lippen hing. Im Geiste sah ich dann eine Mary vor mir, die draußen vor dem Ballsaal stand und ihr Gesicht gegen die kalten Fensterscheiben presste, um den Tanzenden zuzusehen. Natürlich hatte ich Mary nie in Wirklichkeit dort beobachtet, allerdings hätte es mich nicht überrascht zu hören, dass sie genau so dort gestanden hatte. Doch weil ich wusste, dass Margaret es nur gut meinte und Mary das bisschen Trost spendete, das zu diesem Zeitpunkt möglich war, hielt ich meinen Mund. Außerdem war ich dankbar, dass Margaret ihr gegenüber nie ein Wort von meiner kurzen Begegnung mit Colonel Birch im Ballsaal erwähnte, denn Mary hätte sonst von mir verlangt, mich an jede Einzelheit dieses Nachmittags zu erinnern.
    Da es sich nicht schickte, dass der Beginn eines Briefwechsels von ihr ausging, hoffte Mary darauf, bald von Colonel Birch zu hören. Gelegentlich erhielten sie und Molly Anning Post von William Buckland, der nach bestimmten Fossilien fragte, oder von Henry De La Beche, der ihnen mitteilte, wo er sich gerade aufhielt. Auch andere Sammler schrieben sie um bestimmte Fossilien an. Molly Anning korrespondierte sogar mit Charles Konig vom Britischen Museum. Er hatte William Bullock Marys ersten Ichthyosaurier abgekauft und Interesse an weiteren Exemplaren

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