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Zwei bemerkenswerte Frauen

Zwei bemerkenswerte Frauen

Titel: Zwei bemerkenswerte Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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angemeldet. Es traf somit regelmäßig Post im Haus am Cockmoile Square ein, aber niemals blitzte unter den Briefen die schwungvolle Handschrift von Colonel Birch auf. Ich nämlich kannte diese Handschrift.
    Ich brachte es nicht übers Herz, Mary zu sagen, dass ich selbst einen Monat nach seiner Abreise aus Lyme Post von Colonel Birch bekommen hatte. Natürlich war es kein Brief, in dem er mir seine Liebe gestand, obwohl meine Hände zitterten, als sie ihn aufschlitzten. Er bat mich höflich, ob ich für ihn nach einem Dapediumfossil der Art, wie ich es dem Britischen Museum gestiftet hatte, Ausschau halten könne, da er seine Sammlung jetzt um ausgewählte Fischfossilien erweitern wolle. Ich las den Brief Margaret und Louise vor. «Ist das nicht unverschämt?», rief ich. «Erst spottet er über meine Fische, und dann bittet er mich um einen, noch dazu um ein Exemplar, das so schwer zu finden ist.» Doch mochte ich auch noch so wütend sein, insgeheim freute ich mich, dass Colonel Birch meine Fische mittlerweile so sehr schätzte, dass er selbst einen besitzen wollte.
    Trotzdem schickte ich mich an, den Brief ins Feuer zu werfen, doch Margaret hinderte mich im letzten Moment daran. «Nein, tu’s nicht», flehte sie. «Bist du sicher, dass er nichts über Mary geschrieben hat? Kein Postskriptum oder vielleicht eine verschlüsselte Nachricht an sie?» Sie überflog den Brief, fand aber nichts. «Bewahr ihn auf, damit du wenigstens weißt, wo er wohnt», sagte Margaret und las gleichzeitig den angegebenen Absender, eine Straße in Chelsea. Sicherlich prägte sie sich die Adresse ein für den Fall, dass ich den Brief später doch noch verbrannte.
    «Gut, ich bewahre ihn auf», versprach ich. «Aber antworten werde ich ihm nicht. Er verdient es nicht. Und er wird niemals einen meiner Fische in die Hände bekommen!»
    Wir erzählten Mary nicht, dass Colonel Birch mir geschrieben hatte, denn es hätte sie am Boden zerstört. Niemals hätte ich gedacht, dass eine starke Persönlichkeit wie Mary so leicht zu erschüttern war, doch wir haben alle Phasen im Leben, in denen wir besonders verletzbar sind. Mary wartete, redete und fragte Margaret weiter nach Colonel Birchs Verhalten im Ballsaal aus, und Margaret antwortete, auch wenn es ihr weh tat zu lügen. Allmählich wich die Farbe aus Marys Wangen, das Strahlen in ihren Augen erlosch, ihre Kieferpartie verhärtete sich und ihre Schultern hingen wieder vor wie früher. Es trieb mir die Tränen in die Augen, mit ansehen zu müssen, wie sie bereits in so jungen Jahren in den Kreis von uns alten Jungfern trat.
    An einem sonnigen Wintertag bekam ich überraschenden Besuch in der Silver Street. Ich war mit Louise draußen im Garten. Weil ihr in der kalten Jahreszeit die Gartenarbeit fehlte, suchte sie ständig nach Beschäftigungen an der frischen Luft: Sie streute Mulch zwischen die schlafenden Pflanzen, schaute nach den Zwiebeln, die sie gesetzt hatte, harkte Laub, das in den Garten geweht war, und schnitt die hartnäckig wachsenden Rosenbüsche zurück. Anders als früher machte die Kälte uns beiden nichts mehr aus, und in der Sonne war es ohnehin überraschend warm. Ich malte gerade ein Aquarell mit der Aussicht aufs Golden Cap fertig, das ich schon vor Monaten begonnen hatte, mir an diesem Tag aber wieder vorgenommen hatte, weil ich hoffte, das schräg einfallende Licht der Wintersonne könne dem Bild die magische Note geben, die ihm bislang fehlte.
    Als ich gerade den Wolken etwas Gelb beigab, erschien Bessy. «Da ist jemand für Sie», brummte sie unwillig. Sie trat zur Seite und gab den Blick auf Molly Anning frei. In den vielen Jahren, die wir hier lebten, war sie noch nie in die Silver Street hinaufgekommen.
    Bessys Ton ärgerte mich. Trotz meiner Freundschaft mit den Annings und obwohl sie Mary mittlerweile gut genug kennen musste, um sich ein eigenes Urteil zu bilden, schloss sie sich nur zu bereitwillig der in Lyme vorherrschenden Meinung über die Familie an. Ich erhob mich. «Bessy, bitte hole einen Stuhl für Mrs Anning und einen für Louise, und dann mach Tee für uns.» Das war meine Strafe. «Molly, Sie haben doch nichts dagegen, wenn wir uns nach draußen setzen? In der Sonne ist es recht mild.»
    Molly Anning zuckte mit den Schultern. Sie gehörte nicht zu den Menschen, denen es Freude macht, in der Sonne zu sitzen, aber sie wollte auch niemanden davon abhalten.
    Bessy schien wütend zu sein, weil sie jemanden bedienen sollte, der ihrem Gefühl nach unter

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