Zwei Einzelzimmer, bitte!: Mit Kluftinger durch Deutschland
»Als-Buchhalter-hab-ich-viel-Stress-aber-am-Wochenende-fahr-ich-mit-den-Kindern-im-Fahrradanhänger-zum-Bauernmarkt-Ökosachen-kaufen«-Brillen: oben schwarz, unten randlos und ein kleiner Schuss Ödnis. Dann gibt es noch die außen schlammfarbenen, innen bunten Designmodelle, die gerne mal innovative Schreinermeister tragen, die sich eher als Künstler denn als Handwerker fühlen, und deren Frauen der Ansicht waren, dass ein bisschen Farbe doch mal was Frisches habe.
Ganz zu schweigen von den roten, runden Kunststoffgestellen, die gern der Inhaber eines mittelmäßigen Landgasthofes in Mittelschwaben um die Mitte 40 trägt, weil ihm das eine ungeheure Ähnlichkeit mit diesem Fernsehkoch verleiht.
Aber zurück zu meinem Brillenproblem. Erstens: Ich seh zu gut. Also nix mit Krankenkasse und so. Ich muss mir mein Gestell komplett selber kaufen. Musste ich damals schon, als ich als Student unbedingt so eine Metallbrille wollte, die man beim Argumentieren in gaaaanz wichtigen Hauptseminaren zum Thema »Kafkas Schloss und die postmoderne Literaturtheorie seit Lévi-Strauss« immer so toll abnehmen und schwenken konnte. Als ich festgestellt hatte, dass das Seminar nichts mit Jeansmode zu tun hatte, war der Reiz der Brille übrigens schon wieder verflogen und ich hatte sie nur noch auf, weil ich einen dieser wunderbaren Sonnenbrillen-Aufstecker dazugekauft hatte.
Ich brauch eine Literaturbrille. Beziehungsweise eine Literatenbrille. Eine richtige. Nicht so eine, die ich mir letzten Herbst für die Messe in Frankfurt habe machen lassen. So eine schmale, dezente, die man fast nicht wahrnimmt im Gesicht. Die war so dezent, dass ich sie jetzt gar nicht mehr finde im Moment. Also seit einem Dreivierteljahr. Und so dezent, dass sie keiner bemerkt hat auf der Messe. War nicht von Armani oder Guess oder so, wo der Designer dick draufsteht. Nein, von Ermenegildo Zegna war die. Was für ein Name! Ermenegildo. Heißt übersetzt schätzungsweise Hermengild. Unterschätzter Name. Aber eine so unmerkliche Brille ist nix für Literaten.
Denken Sie sich einfach die Brille, die sich selbst der Klassenstreber damals, der, der Mathematik- und Französisch-Leistungskurs hatte, weil er ja so vielseitig begabt war und weil ja Astrophysik eh sein Hobby war, wenn er nicht gerade Schach spielte oder im Kirchenchor sang, nie aufgesetzt hätte. Weil ihm die Jungs vom Sport- LK aufgelauert hätten, um ihn nächtens in den Schulspringbrunnen zu werfen. Oder versuchen Sie sich die Brille des schwer vermittelbaren Bubis in »Eis am Stiel« Teil 1-9 in Erinnerung zu rufen. Diese Apparaturen, für die ein Begriff wie Nasenfahrrad ein echter Euphemismus ist. Genau diese Brillen tragen jetzt die Literaten. Und die, die sich für solche halten, weil sie gerade in der zwölften Klasse sind und Deutsch- LK haben und zum Frühstück regelmäßig ein paar Seiten Nietzsche in ihr Müsli bröseln, bevor sie das braune Cordsakko überziehen, das ihr Vater schon in den Kleidersammlungssack gesteckt hatte, und mit einer Antikledertasche losgehen zum wissenschaftlichen Propädeutikkurs in Rhetorik.
Riesengroße braune, schwarze, beige-fleischfarbene oder sogar weiße Rahmen, meist eckig, in denen das Fensterglas spiegelt. Sie können sich nicht vorstellen, wie groß die Dinger sind. Die können Sie sich bei Starkregen über den Kopf halten und Sie und Ihr Kind samt Wagen werden nicht nass. Es scheint eine Art Eintrittskarte in die Literaturszene zu sein. Obwohl es Gottlieb Wendehals, der diese Dinger ja auch immer bei seinen Auftritten trug, es trotzdem nie dorthin geschafft hat.
Jetzt stellen Sie sich uns beide vor unter all diesen bebrillten Litkoloonern. Ich mit nackten Augen, die prollige schwarze Ray-Ban in der Jackentasche – und Volker mit einer stinknormalen Durchschnittsbrille normaler Größe. Die haben uns angesehen und gedacht: »Ah, ist doch nett, dass sie jetzt die Fahrer auch bei dem Fest mitmachen lassen.«
Nicht, dass jetzt der Eindruck entsteht, dass wir die Literaten nicht mögen. Warum denn auch – wir kennen sie ja gar nicht. Haben auch noch nie mit einem geredet. Die reden nämlich nur mit Literaten. Also Poeten quasi.
Und so einer werd ich jetzt. Hab grad die Nummer des Managements von Gottlieb Wendehals gegoogelt.
Volker Klüpfel hat den Trend zur Literatenbrille eindeutig viel früher erkannt als Michael Kobr. Vielleicht liegt es auch daran, dass Herr Kobr keine Brille trägt.
SV Meppen gegen Wattenscheid 09 oder:
Das
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