Zwei Esel Auf Sardinien
Lenardedda kommt langsam mit einer riesigen dampfenden Suppenschüssel aus der Küche. Zum ersten Mal hören wir ihre schrille Stimme:
» ES IST SERVIERT !«
Während der Marchese eine endlose Eloge auf seine verstorbene Mutter hält, kann ich meinen Blick gar nicht mehr von dem Gemälde lösen. In meinem Kopf entspinnt sich langsam ein Film, dessen Hauptfigur eine Adlige aus Aragonien ist, die nach einem zügellosen Leben im Luxus von ihrem Vater, einem Gutsbesitzer aus Villamar, ins Kloster gezwungen wurde. Dort verbrachte sie die letzten zwanzig Jahre ihres Lebens in absoluter Einsamkeit, um für ihre Sünden zu büßen. Sie meditierte und fügte ihrem Körper unsägliche Martern zu, und schließlich starb sie an innerem Fieber. Eines Tages spross unter den vielen Pflanzen, die die Erde rund um ihr Grab wachsen ließ, ein Granatapfelbaum. Dessen unzählige Samen, so leuchtend rot wie kostbare Rubine, die ein Symbol für ein blühendes Leben sind, gaben nicht nur Frauen, die keine Kinder mehr bekommen konnten, die Fruchtbarkeit zurück, sondern konnten die weibliche Lust verlängern. So wurde dieses Grab zu einem beliebten Pilgerort, vor allem für die Frauen aus dem Campidano, aber auch für viele Menschen aus anderen Städten und Grafschaften des Königreichs. Irgendwann bemerkten die Ehemänner, dass auch andere Männer von den Wohltaten dieses Baumes profitierten, und da sie die Affären ihrer Gemahlinnen nicht mehr dulden wollten, beschlossen sie einstimmig, einen Pfau als Wächter dieses Grantapfelbaums einzusetzen. Mit seinem stolzen Blick sollte er von nun an das ständige Hin und Her unterbinden. Seit der Antike hatte dieses Tier sich als unerbittlicher Schlangenjäger hervorgetan, so dass man allgemein annahm, es würde die typischen bunten Farben seiner Schwanzfedern durch Aufnahme des Schlangengifts erhalten. So wurde der Pfau nun der Beschützer der unglückseligen gebrochenen Herzen. Auch Bruno war so ein junger Ehemann, und jemand hatte sich in den Kopf gesetzt, sein Liebesleben zu stören, indem er Jutta den Hof machte, seinem wunderschönen Weib, das sich gemeinsam mit ihm auf den Weg zum Grabmal der adligen Nonne gemacht hatte. Seit diesem Tag wurde sie von einem Jüngling aus Cagliari umworben. Zunächst wies sie sein Ansinnen zurück, doch dann folgte sie ihren niederen Instinkten und schließlich den berückenden Blicken des jungen Mannes, der sich bald als äußerst gefährlicher Liebhaber erwies. Als sie eines Tages mit ihm wieder zu dem alten Grabmal pilgerte, um erneut von dessen kostbaren Samen zu naschen, stand der Frau auf einmal ein riesiger Pfau gegenüber. Um die Lüsternheit der beiden zu bestrafen, fächerte dieser seinen Schwanz auf und schüttelte von seinen bunten Federn Gift in die Luft, womit er die beiden sündigen Ehebrecher vertrieb.
»Liiiebling, wo bist du denn wieder mit deinen Gedanken? Komm mal wieder auf den Boden zurück …«, ruft die einzig wahre Jutta.
Ich kehre ganz plötzlich in die Wirklichkeit zurück, doch dann gelingt es mir, mich an dem Gespräch zu beteiligen, da ich doch – zwischen Pfau und Granatapfel – die eine oder andere Bemerkung aufgeschnappt habe.
»Aaaach, wissen Sie, ich habe gerade gedacht, dass Safran und neues Öl ihr Tod sind.«
»Was, von den Ravioli?«
»Genau, von den Ravioli und allen Liebhabern.«
» LIEBHABER ?! WAS FÜR LIEBHABER ?«, fragen Jutta und der Marchese im Chor.
»Liebhaber … äh … der guten sardischen Küche.«
» AAACH SOOO !«, meint Jutta.
»Guten Appetit, meine Lieben. Es ist mir immer wieder ein Vergnügen, Gäste im Haus zu haben«, beendet der Marchese das Thema.
Ich seufze erleichtert auf. Glücklich taucht meine Gabel in eine wunderbar luftige Artischockencreme.
Giudittas Traum
Jutta
Zurück in unserem Schlafzimmer, bin ich erst einmal glücklich über die herrliche Luft, die zwischenzeitlich durch die offenen Fenster hereingeströmt ist. Zu gerne würde ich bei geöffneten Fenstern schlafen, denn ich befürchte, dass das Naphthalin, das wohl in allen Schränken versprüht wurde, mich ersticken wird. Bruno bekommt aber immer eine Krise, weil er Angst hat zu erfrieren.
So gilt es mal wieder, einen Kompromiss zu finden, mit dem wir beide leben beziehungsweise schlafen können. Ich ziehe die Fensterflügel heran, so dass in der Mitte ein Spalt offen bleibt, und ziehe drei Viertel der Vorhänge zu, dann hänge ich den Bademantel zurück in einen Schrank, der voller altmodischer
Weitere Kostenlose Bücher