Zwei Esel Auf Sardinien
Haus! Meine Hände packen Brunos Schultern, und ich rüttle ihn wach.
»Bitte steh auf, Schatz, ich halte es hier nicht länger aus, lass uns sofort verschwinden, hier gibt’s böse Geister.«
Bruno, der bislang eine hohe Meinung von meinem geistigen und seelischen Zustand hatte, ist verwirrt. Verschlafen sieht er mich an.
»Wie spät ist es denn? Leg dich noch mal hin, ich muss noch zu Ende schlafen, hab grad so was Schönes geträumt.« Damit rollt er sich wieder ein.
Weiterschlafen geht für mich überhaupt nicht, also steige ich aus den Federn, laufe zu den Fenstern, schiebe alle Vorhänge beiseite und öffne weit die Flügel, um das Morgenlicht mit seinem feuchten Tau hereinzulassen. Nachdem ich meine Lungen mit wohltuendem Sauerstoff vollgepumpt habe, geht es mir ein wenig besser. Ich lehne mich aus einem Fenster, um die Umgebung zu inspizieren. Vor mir liegt ein herrlicher Park. Auf sattem Grün stehen vereinzelt Zypressen und andere Gehölze, kleine Kieswege schlängeln sich zu einem Pavillon, in dem ich eine Gestalt sehe, die langsame Bewegungen ausführt. Was macht der da? Es sieht aus, als ob sich jemand wie in Trance bewegt. Vielleicht praktiziert er Zen, die Kunst des Bogenschießens? Als ich noch am Englischen Garten in München lebte, habe ich oft ganze Gruppen von Menschen gesehen, die sich im frühen Morgenlicht dieser Meditation hingegeben haben. Ich selbst mache seit über zwanzig Jahren Yoga und habe dazu einige Übungen aus dem Qigong übernommen. Zen jedoch ist eine erweiterte Stufe, in die ich bislang noch nicht eingetreten bin.
Da ich neugierig bin, beschließe ich, mich im Bad fertigzumachen und in meine schmutzigen Klamotten zu steigen. Der Gedanke daran ist zwar wenig erbaulich, andererseits will ich aber dieses Zelt so schnell wie möglich loswerden. Das kühle Wasser erfrischt meine Lebensgeister, und Schritt für Schritt werde ich wieder zur fröhlichen und positiven Jutta. Was für ein Zufall, dass die Alte den gleichen Namen wie ich trägt. Ich bin erstaunt darüber, wie tief mich diese Begegnung beeindruckt hat.
Nachdem ich im Badezimmer ordentlich rumort habe, steht Bruno leicht genervt auf. »Es ist gerade mal acht Uhr vorbei, und wir müssen gegen elf bei Maurizio sein. Wir haben alle Zeit der Welt, Gesturi ist nicht mal zwanzig Kilometer von hier entfernt.«
Zu gerne würde ich jetzt fragen, warum um alles in der Welt er uns nicht gestern Abend mal kurz dorthin gefahren hat, aber da jegliche Diskussion eh zwecklos ist und nur Missstimmung heraufbeschwören würde, verkneife ich es mir. »Brauchst du lange im Bad, oder soll ich auf dich warten?«
»Nein, nein, geh schon mal«, fordert er mich auf, und ich weiß doch, wie es ihn stört, wenn ich um ihn herum bin und ihm das Gefühl vermittle, auf ihn zu warten.
Also schleiche ich leise durchs Haus, hinaus in den Park, in der Hoffnung, dass mich Lenardedda, die sicherlich schon längst in ihrer Küche arbeitet, nicht hört.
Draußen ziehe ich meine Schuhe aus und gehe über den Kiesweg auf das taunasse Gras. Es ist unbeschreiblich schön hier. Fast toskanisch mutet dieses Gut an. Mit weit ausholenden Schritten überquere ich die Wiese und erhole mich zusehends von dieser Nacht. Als ich weit genug gelaufen bin, um das Haus mit Stallungen und Anbauten im Ganzen sehen zu können, drehe ich mich um. Es ist wahrlich beeindruckend. Da ich die Läden unserer Fenster geöffnet habe, ist leicht auszumachen, wo wir geschlafen haben. Alle anderen Fenster sind, wie üblich im Süden, was ich einfach nicht nachvollziehen kann, fest verrammelt. Gut, wenn es im Sommer richtig heiß ist, verstehe ich das ja noch, aber wie man jetzt im Herbst auch noch freiwillig im Dunkeln sitzen kann, wird mir immer ein Rätsel bleiben.
Ich kann Brunos Schatten erkennen, als er vom Bad ins Zimmer geht, und winke. Er sieht mich nicht, er sucht mich ja auch nicht! Ich suche eigentlich immer, wenn ich jemanden für kurze Zeit verlasse. Dann denke ich, er wird gleich irgendwo erscheinen, und diesen Moment will ich nicht verpassen. Ich lasse Menschen nicht gerne warten! Zum einen wurde ich so erzogen, zum anderen steckt es einfach in mir, denn Warten empfinde ich als vergeudete Zeit. Bruno hingegen wartet immer auf irgendetwas. Darauf, dass sich was verändert, dass die Person, die schon lange versprochen hat anzurufen, sich endlich meldet, dass das Meer so warm wird, dass man endlich darin schwimmen kann … Warten, warten, warten – auf tausendundeine
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