Zwei Frauen: Roman (German Edition)
»Ich bleib hier!«
»Was???«
»Ich will da nich hin!«
»Aber Claudia, das –«
»Und ich kann auch nich wech, wo du so schlecht drauf bis!«
Dass ich »schlecht drauf« war, stimmte zwar, doch war ich das in den ersten drei Tagen nach einer Infusion immer, und deshalb ließ ich das als Entschuldigung nicht gelten.
»Außerdem kann ich allein brechen«, tönte ich, »ich bin nämlich schon ein großes Mädchen und brauche dazu keine Hilfestellung.«
Claudia verzog das Gesicht. »Ich hab aber Angst«, winselte sie.
»Wovor?«
»Vor den Willi!«
»Du liebst ihn aber doch.«
»Wat heißt dat schon …?!«
»Claudia …!« Ich nahm ihre Hand, als wäre ich mindestens zwanzig Jahre älter und zweihundert Menschenleben weiser als sie. »Wenn du den Willi wirklich liebst«, sagte ich, »brauchst du keine Angst zu haben. Er wird diese Liebe spüren, und wenn du sie ihm gibst, immer nur gibst und nichts dafür verlangst, … dann wirst du sie irgendwann auch zurückbekommen.«
»Irgendwann?«, vergewisserte sie sich.
Ich nickte.
»Na gut, Eva … wenn du dat sachs …«
Sie atmete tief ein, tätschelte meine Hand, schlüpfte in ihre Schuhe und griff nach ihren Taschen, und dann ging sie.
Fünf Tage Heimaturlaub hatte Claudia beantragt, aber schon nach achtundvierzig Stunden stand sie wieder auf der Matte. Zuerst wollte ich meinen Augen nicht trauen. Wie der Teufel höchstpersönlich, der Schwefel speiend mit einem ohrenbetäubenden Knall aus der Hölle schießt, stand Claudia plötzlich im Zimmer. Kein Wort des Grußes kam ihr über die Lippen. Sie warf die Tür hinter sich zu, riss »Fiffi« vom Kopf und begann, ihre Reisetasche auszupacken.
Mit pfeilschnellen Bewegungen ergriff sie die Gegenstände und verstaute sie, ohne dass Überlegung dahinter zu stecken schien: das in den Schrank, das in den Nachttisch, das ins Bad. Dies unter das Bett – zack! – jenes aufs Regal – päng! – das zwischen die Laken, das unter das Kopfkissen, Tasche zu, Schranktür auf, Tasche rein, Schranktür zu – fertig!
Dann sah sie mich an, als würde sie überlegen, wie ich nun wegzupacken wäre.
»Dat wa mein letzten Heimaturlaub!«, schwor sie mir. »Dat mach ich nich noch ma mit, dat kannse glauben. Willse ga nich wissen, warum?«
Ich schluckte. Claudias Auftritt ließ mich das Schlimmste ahnen, sodass ich kaum wagte, nach Einzelheiten zu fragen. Endlich überwand ich mich und hauchte: »Warum?«
Sie spitzte die Lippen, holte tief Luft, und im nächsten Moment ging ein Monolog auf mich nieder, den sie im Taxi bestimmt schon mehrmals geprobt hatte.
»Weil ich dat Pack da draußen zum Kotzen find!«, fing er an. »Alle Mann! Die sind alle feige und beknackt, und wenn se eine wie mich sehn, dann kriegen se Panik. Stehn doof rum, labern Scheiße von wegen ›Kopp hoch‹ und erzähln dir einen von ihre Angst. Aber Angst is ja immer dat Leichteste. Wenn de wat nich abkanns, sachse einfach, du has Angst oder wärs zu sensibel, und schon räumen dir son paar Idioten wie ich alle Steinkes aus en Wech. Da kannse dann loslatschen und ne Spende machen für sonne ame Sau wie mich, und da brauchse dann keine Angst vor ham, weil, die kannse vonne Steuer absetzen.«
Claudia hatte so laut gebrüllt, dass ich mich in die hinterste Ecke meines Bettes verkroch. Dieser Anblick schien ihr zu behagen. Sie zündete sich eine Zigarette an, blies den blauen Dunst voller Genuss in den Raum und sah den Kringeln und Schwaden nach, als wären sie kostbare Kunstwerke. Dabei beruhigte sie sich so sehr, dass ich schon glaubte, es hinter mir zu haben. Das war jedoch ein Irrtum.
»So«, meinte Claudia nach einer ganzen Weile, und in diesem kleinen Wort schwang viel Bosheit mit, »und nu bis du dran!«
Für einen kurzen Moment wusste ich gar nicht, wie mir geschah. »Ich?«, fragte ich vorsichtshalber noch mal nach.
»Jawoll!«
»Aber … aber wieso denn?«
»Wieso?« Claudia lachte verächtlich. »Hier!«
Blitzschnell grabschte sie nach dem Foto von Willi und hielt es mir so dicht unter die Nase, dass ich kaum mehr Luft bekam.
»Du weiß ja so viel von de Männer«, sagte sie dabei voller Zynismus. »Du guckse ja immer bis tief in dat Innerliche und glaubs an ihnen ihr guten Kern. – Ja, Eva, den ham se, den Kern, und wie! Sechs Jahre wa ich mein Willi gut genuch. Weil ich ihn nämlich sechs Jahre vorgemacht hab, wie stark ich bin und wie tapfer und so, und dat ich die Scheiße hier locker pack. Und dann hab ich mich ›aufgemacht‹,
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