Zwei Frauen: Roman (German Edition)
wenigen Tagen geregnet hatte und von der Sonne nichts zu sehen gewesen war. Jetzt strahlte sie mit mir um die Wette, und ich blieb für einen Moment stehen, um das zu genießen. Der Wind war sanft, die Luft roch nach Glück, das Licht war hell, die Welt war klar … auf einer der vielen Bänke saß eine hochschwangere Frau. Sie ließ sich und das Baby von der Maisonne streicheln, und ihre Hände lagen auf ihrem Leib, ein Anblick, der unsägliche Zufriedenheit widerspiegelte. Ihr gegenüber im Schatten saß eine alte Frau. Auch sie wirkte zufrieden, auch ihre Hände lagen friedlich im Schoß … Anfang und Ende … ein ewiger Kreis …
Schnellen Schrittes ging ich los, vorüber an der Gastroenterologischen Klinik, vorüber an der Chirurgischen Klinik. Ein paar junge Leute kamen mir entgegen und schauten mich ungläubig an.
Vermutlich war ich in ihren Augen viel zu aufgetakelt, viel zu elegant und viel zu selbstbewusst. Ich lächelte nur, sie hatten ja keine Ahnung, und ich lief weiter, fast ein bisschen hastig, erreichte den Aufgang zum Hauptportal, ging die Treppe hinauf, betrat die Halle. Meine Schritte hallten wider, und ich sah zu den Pförtnern herüber, die wie damals gelangweilt dasaßen und Zeitung lasen. Dann stand ich endlich vor der gläsernen Tür, die ins Freie führte.
Während meiner Spaziergänge hatte ich sie oft von weitem gesehen, diese Tür, aber nur von weitem. Genähert hatte ich mich ihr nie, denn irgendetwas tief in mir hatte mich stets zurückgehalten. Wie gut ich daran getan hatte, dieser inneren Stimme zu folgen, wurde mir erst jetzt klar:
Sehnsucht! Durch das Glas blickte ich auf die Straße hinaus und sah Menschen, die den Bürgersteig entlangschlenderten, die eilig die Straße überquerten, die an der Haltestelle auf den Omnibus warteten. Sehnsucht! Ich sah Autos, die an der Ampel standen, die sich in Bewegung setzten, als sie auf Grün sprang, die losfuhren. Sehnsucht nach dem Leben! Hinter mir lag ein Meer von Frieden und Einsamkeit, von Hoffnung und Hoffnungslosigkeit, vor mir lag der Rest der Welt, und die Sehnsucht nach diesem Rest brachte alles in mir zum Erzittern.
Ich blickte zu den Taxis, die abfahrbereit in einer langen Schlange vor dem Hauptportal standen. Das erste davon würde es sein! Seine Türen waren bei der Wärme weit geöffnet, und hinter dem Steuer saß ein Mann mittleren Alters, der gerade ein Würstchen vertilgt hatte und nun den Pappteller, auf dem der restliche Senf klebte, zielsicher in den Abfalleimer zu seiner Rechten warf. Dieser Mann würde es sein, dachte ich mir. Er würde nach all der Zeit, die ich in meiner kleinen Welt verbracht hatte, der erste Mensch sein, dem ich in der großen Welt begegnete. Er würde mich heimbringen, heim in die Zukunft.
Ich atmete tief durch, stieß die Tür des Hauptportals auf, trat über die Schwelle. Lärm drang an meine Ohren, Stimmengewirr, das Quietschen von Reifen – die reinste Musik …
»Möge Gott mir die Kraft geben, die Dinge anzunehmen, die ich nicht ändern kann!« Er hatte sie mir gegeben, diese Kraft. Ich hatte es akzeptiert, Krebs zu haben.
… der Geruch von Abgasen stieß mir in die Nase, der schönste Duft, den ich mir in diesem Moment vorstellen konnte. Ich pumpte meine Lungen voll damit, ganz voll, ganz, ganz voll …
»Möge Gott mir den Mut geben, die Dinge zu ändern, die ich ändern kann!« Auch den hatte Er mir gegeben, denn es war mir gelungen, aus diesem Schicksal namens Krebs das Beste zu machen. Damit war mir auch die größte Gnade zuteil geworden, die einem Menschen überhaupt zuteil werden konnte. Gott hatte sie mir geschenkt, sie: »Die Weisheit, zu unterscheiden« .
… Und so ging ich, als die schwere Glastür hinter mir zuschlug, meine ersten Schritte in ein neues Leben …
NACHWORT
Ich habe in diesem Buch Erfahrungen verwertet, die ich selbst mit Krankheit und Tod, mit Leben und Sterben gemacht habe; das Gros der Dialoge und Handlungen ist authentisch. Da ich mir jedoch zugunsten der Dramaturgie ein gewisses Maß an dichterischer Freiheit erlaubt habe und da ich darüber hinaus Namen, Details und Krankengeschichten so verändert habe, dass die Identität der einzelnen Personen geschützt bleibt, ist das Ergebnis meiner Arbeit nicht als Tatsachenbericht zu betrachten, sondern als Roman, der keinen Anspruch auf medizinische Genauigkeit erhebt.
ÜBER DIE AUTORIN
Diana Beate Hellmann, 1957 in Essen geboren und dort aufgewachsen, wurde bekannt durch ihren Bestseller ZWEI FRAUEN ,
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