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Zwei Frauen: Roman (German Edition)

Zwei Frauen: Roman (German Edition)

Titel: Zwei Frauen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Beate Hellmann
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lieb, doch war er auch sperrig und schwer umzuschnallen. Die Haken waren groß, viel zu groß für meine kleinen Hände. Nach einigen Fehlversuchen hatte ich es endlich geschafft. Ich holte tief Luft, rannte los, kniff Nase, Mund und Augen zu, und dann, dann sprang ich durch den schäumenden Wellenkamm.
    Es klappte gleich beim ersten Mal. Mein Seehund fing mich ab, sodass ich die Wucht der Brandung kaum spürte, und dahinter war die See dann längst nicht mehr so stürmisch und bedrohlich. Es war wie auf einer Kirmes. Die hohen Wogen warfen mich und Helmut auf und nieder, und das machte mir Mordsspaß. Ich genoss meinen Triumph. Mein Vater hatte dieses unvergleichliche Vergnügen für sich allein haben wollen, aber so leicht ließ ich mich nicht abschütteln. Ich winkte ihm zu. »Papa, Papa, guck mal!«
    Erst da entdeckte er mich, doch reagierte er ganz anders, als ich erwartet hatte.
    »Eva!«, schrie er entsetzt. »Zurück!«
    Ich lachte nur. »Ich komme, Papa! Guck mal!«
    »Zurück, verdammt noch mal! Zurück, Eva!!!«
    »Ich komme! Ganz schnell!«
    Jauchzend strampelte ich mit den Beinen, und meine Arme schlang ich fest um Helmuts sonnengelbes Plastikköpfchen. Ich war so fröhlich in diesem Moment, so ausgelassen, es war herrlich – da spürte ich auf einmal diesen Ruck an meiner Brust, und noch bevor ich begreifen konnte, was geschah, waren meine Arme auch schon leer, und ich wurde unter Wasser gedrückt. Es rauschte in meinen Ohren, es brannte in meinen Augen, ich bekam keine Luft mehr. Endlich tauchte ich wieder auf, aber ich konnte nur husten, ich schlug verzweifelt um mich, fand aber nirgends einen Halt …
    »Der Schwimmreifen!«, rief mein Vater mir zu. »Er ist ab, Eva, macht nichts, schwimm allein, Eva, schwimm!«
    »Ich kann nicht!!!«
    »Doch, Eva, du kannst! Schwimm!!!«
    Die Stimme meines Vaters klang anders als sonst, aber es schwang keine Angst in ihr mit. Ich sah, wie er mir entgegenzuschwimmen versuchte, ich sah, dass er sich umsonst anstrengte, weil ihn das Meer immer wieder hinaustrug. Dennoch schien er keine Angst zu haben.
    »Schwimm, Eva, schwimm!«, rief er nur immer wieder.
    Ich konnte aber nicht schwimmen. Nur ein einziges Mal, und das war schon lange her, hatte mir mein Vater in seichtem Wasser gezeigt, wie man Arme und Beine bewegt, um nicht unterzugehen. Ich wusste es, aber jetzt, da ich es versuchen musste, waren die Bedingungen denkbar schlecht, denn das Wasser drang mir in Nase und Mund. Ich hustete, bekam keine Luft, und meine Augen brannten wie Feuer.
    »Schwimm!!!«, hörte ich meinen Vater wieder rufen. Dieses Mal war es ein zorniger Aufschrei und keine ermutigende Aufforderung.
    Mir wurde schwarz vor Augen. Ich wusste genau, dass dies hier das Ende war oder ein neuer Anfang, aber ich wusste nicht, wovor ich mich mehr fürchtete. Es tat weh, hilflos zu sein und unterzugehen, aber es war auch bequem, es war einfach, nur noch ein paar Sekunden, dann würde ich es hinter mir haben, … und doch … etwas in mir lehnte sich auf, und dieses Etwas sorgte dafür, dass ich plötzlich ganz von allein Arme und Beine spannte, sie kräftig durchstreckte und nach vorn stob … ganz eng winkelte ich Arme und Beine an meinen Körper, spannte sie wieder, stieß sie weit auseinander, streckte sie durch … ich schwamm.
    »Ja, Kind, ja!«, hörte ich die Stimme meines Vaters. »Komm, Eva, schwimm her zu mir!«
    Mit brennenden Augen blickte ich zu ihm hinüber. Er lachte. Er lachte über das ganze Gesicht – seine Tränen sah ich nicht –, und so schwamm ich auf ihn zu … geradewegs ins Leben … zum ersten Mal …
    Diese Geschichte erzähle ich immer, wenn man mich nach meiner Kindheit fragt. Der Tag, an dem ich schwimmen lernte, und der Tag, an dem ich leben lernte, hatten vieles miteinander gemein. Schwieriger wird es, wenn ich erzählen soll, wie »es« damals begann. »Es« hatte keinen erkennbaren Anfang, da war nichts, von dem man im Nachhinein hätte sagen können, dass es der Auslöser gewesen wäre, da geschah nichts plötzlich und unerwartet, um mit einem Schlag ein bislang sorglos verlaufenes Leben zu verändern. Denn mein Leben war niemals sorglos verlaufen. Vielmehr hatte es von Anfang an aus Herausforderungen bestanden, vom ersten Augenblick an …
    Ich kam am Spätvormittag des 2. Oktober 1957 zur Welt. Der Professor, der meine Mutter entband, war ein enger Freund meines Vaters, und deshalb gab er sich ganz besonders viel Mühe. Dennoch hatte meine Mutter nach mehreren

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