Zwei Frauen: Roman (German Edition)
Schreck nicht wieder zu.
»Wen denn?«, hauchte sie schließlich, und dabei hatte ihr Gesicht einen ängstlichen Ausdruck.
»Den Paul!«, erwiderte ihre Mutter, und sogleich war Claudias Ängstlichkeit wie weggeblasen.
»Wat?«, kreischte sie stattdessen. »Den impotenten Pinselquäler?«
Frau Jacoby beherrschte sich. »Woher willst du wissen, dass mein Paul impotent ist?«, fragte sie nur.
»Na, dat sieht man doch!«, klang es zurück. »Guck doch bloß ma, wie den läuft mit sein Gehänge zwischen de Beine!«
»Das Gehänge von meinem Paul geht dich überhaupt nichts an!!!«
Da gab ich Frau Jacoby Recht, und da es mich erst recht nichts anging, machte ich, dass ich fortkam. Auch draußen auf dem Gang war der Streit noch deutlich zu hören, und erst nach über einer Stunde torkelte Mutter Jacoby wieder aus dem Zimmer, gerupft wie ein Brathuhn.
Claudia sah auch nicht besser aus. »Is dat en Wunder?«, keifte sie mich an. »So wat haut doch den stärksten Russen um! Heiratet die en Anstreicher! Wer macht denn so wat? Aber dat se ne Kanallje is, hab ich ja immer schon gewusst«, fuhr sie fort. »Holt sich da einfach sonnen fremden Wichtel in dat Bett, wo mein Vatter … sonne Kanallje! Aber dat werd ich se nie verzeihn! Nie wieder geh ich in dat Haus, wa ja sowieso immer Scheiße. Die Olle hat en ganzen Tach geheult und wa am Rodonkuchen backen, und meine Schwester hat dusselige Geschichtkes vonne Tierlein im Wald erzählt. Und allet bloß, damit se nich davon reden mussten, dat ich am Verrecken bin. Nee, nee! Und jetzt den Paul … nee … dat verzeih ich se nich, dat is eine Scheißlüge zu viel.«
Endlich holte Claudia Luft, sodass ich auch mal etwas sagen konnte.
»Vielleicht ist es ja gar keine Lüge«, wandte ich zaghaft ein, »vielleicht ist es ja Liebe.« Für einen kurzen Moment blieb Claudia der Zorn im Halse stecken, und sie sah mich atemlos an. »Achchchch!«, tönte sie dann und drehte mir den Rücken zu. So lag sie eine ganze Weile da, und ich schaute ins Freie hinaus, rauchte eine Zigarette, dachte nach.
»Es gibt Menschen«, hatte Daniela mir kürzlich erst gesagt, »die schauen auf ein wundervolles Gemälde von Rembrandt und sagen: Das gefällt mir nicht. – Und wenn du sie dann fragst, warum es ihnen nicht gefällt, antworten sie: Na, weil der Rahmen kaputt ist!«
»Du!«, schrie ich auf, als ich mir dessen bewusst wurde. »Ich habe eine unheimliche Idee.«
Claudia drehte sich langsam zu mir. »Ah ja?«, fragte sie skeptisch nach.
»Mmh!«
»Wat denn?«
»Wenn deine Mutter heiratet … das wird dann doch bestimmt ein großes Fest.«
»Na und?«
»Glaubst du nicht, dass der Willi da auch hingehen wird?«
Das verschlug Claudia die Sprache. Ich konnte förmlich hören, wie es in ihrem Gehirn knisterte, und als sie meine Worte endlich verarbeitet hatte, strahlten ihre Augen wie die eines glücklichen Kindes.
»Mensch, Evken!«, jubelte sie. »Dat is ja …«
Im gleichen Moment stürzte der Tempel der Freude wieder ein.
»Was ist?«, erkundigte ich mich sofort.
»Ach«, seufzte Claudia, »ich denk bloß … wer weiß, ob den Willi mich überhaupt wiedersehn will. Ich mein … vielleicht is ihn ja froh, dat ich wech bin.«
»Aber nein«, sagte ich, »er hat doch immer geschrieben.«
»Mmmh, jedet Ma wat weniger und immer seltener.«
Darüber hatte sie bisher zwar noch nie gesprochen, doch hatte ich es trotzdem geahnt. Claudias Gesicht war in den vergangenen Wochen immer länger, immer trauriger geworden.
»Das muss aber doch nichts bedeuten«, versuchte ich sie zu beruhigen.
»Meinse nich?«
»So eine Klinik macht eben manchen Menschen Angst, und dein Willi ist bestimmt so ein Mensch. Aber wenn du ihm jetzt auf der Hochzeit begegnest … in der Umgebung … als gesund aussehende Frau …!«
»Wie soll ich dat denn anstelln?«
Ich schmunzelte. »Das lass meine Sorge sein, Claudia. Verlass dich da mal ganz auf mich. – Du wirst es nicht bereuen …!«
KAPITEL 23
Verglichen mit anderen Mädchen meines Alters, wusste ich vielleicht nicht allzu viel vom Leben und von der Welt, aber wenn es darum ging, einen Menschen schöner erscheinen zu lassen, als er in Wirklichkeit war, war ich einfach unschlagbar. Das hatte ich beim Theater gelernt, denn das war (leider!) die einzige Kunst, die das Gros der »Künstler« überhaupt beherrschte.
»Zuerst möchte ich mal deine gesamte Garderobe inspizieren!«, teilte ich Claudia mit. »Lass herbringen, was du hast.«
Dass das nicht allzu
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