Zwei Frauen: Roman (German Edition)
nach etwas, was uns längst gefunden hat. – Kennst du den Satz?«
»Ja«, erwiderte Daniela nach einiger Überlegung, »ich glaube, er stammt von Jim Morrison, aus irgendeinem seiner Lieder.«
»Verstehst du ihn?«
»Verstehst du ihn denn, Eva?«
»Heute ja! Wir haben unser Leben nämlich nicht in der Hand, Daniela, du nicht, ich nicht, keiner von uns. Wir leben alle, was uns bestimmt ist. Nur wie wir das leben, und was wir für uns daraus machen, nur das können wir entscheiden.«
Daniela schluckte. »Aber … aber dann wäre dein ganzer Kampf doch sinnlos«, stammelte sie schließlich, »dann … dann könntest du dich doch getrost in die Ecke setzen und abwarten.«
»Und was hätte ich dann davon?«
»Du willst auch noch gleich was davon haben???«
»Ja. Ich habe nämlich etwas davon, wenn ich meinen Weg bewusst gehe. Und genau das werde ich tun. Ich will lachen, und ich will weinen, und ich will glauben und hoffen und auf die Nase fallen und wieder aufstehen … und ich will nach den Sternen greifen, die ich sehe. Wenn ich mir dabei dann den Hals breche, habe ich zumindest den Trost, sie beinahe in der Hand gehalten zu haben. Und beinahe ist beinahe ganz.«
Daniela war sichtlich konfus. Auf Anhieb fiel ihr nichts ein, was sie dazu hätte sagen können, und derartige Situationen brachten jeden Psychologen aus dem Tritt. Gewöhnt, über alles nachzudenken, dachte sie jetzt natürlich vorwiegend darüber nach, warum ihr auf meine Worte nichts einfiel, und das schien mir eine günstige Gelegenheit zu sein, unser Gespräch zu beenden.
Um diese Absicht zu unterstreichen, schaltete ich einfach Claudias Kassettenrecorder ein:
»Sag mir, wie«, klang es mir entgegen.
»Sag mir, wie
Weicht die Angst aus meinem Tag?
Sag mir, wie
Sag mir, wie
Stell ich mich dem Schicksalsschlag?
Sag mir, wie
Sag mir, wie
Wird zur Antwort, was ich frag?
Sag mir, –«
Daniela drückte die Aus-Taste mit so viel Wucht, dass es laut knallte.
»So nicht!«, rief sie mir aufgebracht ins Gesicht. »Ich will mit dir reden, Eva, wir müssen reden, ich will dir helfen. Ich weiß –«
»Du weißt so viel von der Welt«, erklärte ihr Herr Jürgens.
»Und es gibt kein Wort
Das dir fehlt, das dir fehlt
Doch was mich quält spät und früh
Das sagst du nie, sagst du nie
Sag mir, wie
Sag mir, wie …!«
Wieder drückte Daniela die Aus-Taste, doch diesmal schmunzelte sie dabei.
»Weißt du, Eva«, sagte sie dann, »es gibt Völker, die glauben, die Seelen der Toten lebten in den Hinterbliebenen weiter.«
Für einen kurzen Moment stutzte ich.
»Ach was«, winkte ich dann ab, »das ist doch Scheiße!«
»Wie meinen?«
Es fiel mir zwar erst jetzt auf, aber es fiel mir zumindest auf, und das war ja immerhin schon mal etwas. Ich hatte »Scheiße« gesagt. Dass das etwas mit Seelenwanderung zu tun haben sollte, wagte ich allerdings zu bezweifeln, und da ich mich auch gar nicht erst damit auseinander setzen wollte, verschränkte ich die Arme hinter dem Kopf, schloss die Augen.
»Hast du Claudia geliebt?«
Danielas Frage traf mich wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Zaghaft hob ich mein rechtes Lid, sah, wie sie sich zu mir auf die Bettkante setzte, der zweite Blitz.
»Ich will nicht reden«, erklärte ich ihr entsprechend geladen. »Ich wollte es schon nicht, als du hereinkamst, und ich will es jetzt immer noch nicht, versuch also nicht –«
Daniela tat so, als würde sie das gar nicht hören. »Ich habe sie kaum gekannt«, fiel sie mir nämlich ins Wort, und dabei schaute sie scheinbar nachdenklich verloren aus dem Fenster. »Claudia wollte nie mit mir zu tun haben!«
»Richtig!«, bestätigte ich ihr. »Weil de inne Psyche wühls wie son Penner inne Tonne!«
»Hat sie das gesagt?«
»Es ist ein wörtliches Zitat.«
Daniela lächelte. »Sie war schon ein merkwürdiges Ding.«
»Nein«, verbesserte ich sie, »sie war ein Mensch! Und vor ihrer Krankheit war sie sogar ein äußerst kultivierter Mensch. Sie ging gern ins Theater und in die Oper. Und sie liebte Monet und Toulouse-Lautrec …«
Ich geriet ins Plaudern. Ich erzählte, was Claudia mir vor langer Zeit einmal über den Ästhetizismus der Menschen gesagt hatte, Über dieses übersteigerte Schönheitsdenken, das jedem mit einem »Makel« Behafteten das Leben zur Hölle machen konnte.
»Und dagegen hat sie gekämpft, Daniela. Sie hat gesprochen und sich benommen, wie sie aussah, und sie hat einfach die widerlichsten Dinge schön und amüsant genannt und damit
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