Zwei Frauen: Roman (German Edition)
eine neue Norm geschaffen, mit der so Menschen wie ich leben können.«
Daniela lächelte. »Wir wussten alle, dass sie spielte, wenn sie sich so ruppig und so verkommen gab«, sagte sie, »aber dass sie so gezielt vorgegangen ist …«
»Ganz gezielt!«
»Hast du sie geliebt?«
Wieder diese Frage! Damit hatte ich eigentlich rechnen müssen, denn Daniela gab nun mal nicht auf, das tat sie nie. Trotzdem war ich auch beim zweiten Mal äußerst schockiert.
»Ich war eine Gefahr für sie«, wich ich diesmal aus, »das hat sie mir selbst mal gesagt. – – – Ich habe sie ausgesaugt. Weil ich leben wollte, habe ich ihr alle Kräfte genommen. Und das Wenige, was ihr blieb, hat sie mir dann sogar noch freiwillig gegeben. Dabei wusste sie genau, was das bedeuten würde …«
»Claudia hat dich also geliebt«, erwiderte Daniela ungerührt. »Hast du sie geliebt?«
»Ich sage doch, ich habe sie ausgesaugt.«
»Ich frage dich aber, ob du sie geliebt hast. Hast du ihr aus Liebe beim Sterben geholfen? – Eva, so etwas nennt man Sünde!«
Wie ein Exorzist redete Daniela plötzlich auf mich ein, und genauso sah sie auch aus. Für einen kurzen Moment wartete ich nur noch darauf, dass sie ein Kruzifix aus dem Ärmel schüttelte, es mir unter die Nase hielt und erwartete, dass ich kreischend zu Asche zerfiel wie Draculas Braut. Doch glätteten sich die Wogen, bevor es zu einer Probe aufs Exempel kommen konnte. Zu allem bereit, setzte ich mich auf, schaute meinem Gegenüber fest in die Augen.
»Weißt du was?«, sagte ich dann betont fröhlich. »Als ich gerade sechzehn war und wir Ballettabend-Premiere hatten, da hat die Gruber mir erstmals gestattet, zur Premierenfeier mitzugehen.«
»Wie?« Daniela glaubte wohl, ich wäre nun völlig übergeschnappt.
»Warte doch ab!«, beruhigte ich sie. »Auf der Feier habe ich nämlich einen Mann kennen gelernt, so einen mit Porsche vor der Haustür und Brillantring am kleinen Finger. Der war ganz wild auf Minderjährige, und um meinen Unterrock zu erstürmen, war dem nichts zu teuer: Mit russischem Kaviar hat er es versucht, mit französischem Champagner … und zuletzt dann mit argentinischem Tango …«
»Und?«
»Bevor ich ging, schrieb ich ihm die Adresse meines Orthopäden auf eine Serviette.«
»Und???«, wiederholte Daniela, die offenbar immer noch nicht verstand, warum ich ihr diese Geschichte ausgerechnet jetzt erzählte. »Was soll das?«, schimpfte sie. »Ich spreche hier von –«
»Ich weiß, wovon du gesprochen hast«, fiel ich ihr ebenso unwirsch ins Wort, »aber nach all dieser Zeit mit mir über ›Sünde‹ diskutieren zu wollen, ist ebenso wagemutig, wie einer Tänzerin argentinischen Tango beizubringen. Das kann nur schief gehen, Daniela. Ich denke seit Wochen an nichts anderes als an dieses Wort Sünde.«
Ich lächelte das wohl verzweifeltste Lächeln meines Lebens, denn ich wusste genau, was Daniela in diesem Augenblick von mir erwartete. Mit einem Satz, notfalls auch mit zwei Sätzen – vorausgesetzt, die waren nicht zu lang – sollte ich ihr jetzt das Ergebnis meiner Überlegungen zum Thema »Sünde« mitteilen.
»Und das geht natürlich nicht«, erklärte ich ihr.
»Und warum geht das nicht?«
»Weil du dich zuerst einmal fragen müsstest, was das überhaupt ist: Sünde!«
Darauf hatte Daniela sofort eine Antwort parat.
»Was du getan hast, ist beispielsweise eine Sünde, Eva!«
»Und woher weißt du das?«
»Eva!«
»Weil es in der Bibel steht?«
Daniela schluckte.
»Es ist hochmütig, zu glauben, man könnte Gott durchschauen«, sagte ich. »Das habe ich anfangs auch nicht wahrhaben wollen, aber Claudia hat mir die Augen geöffnet. – Hochmut ist übrigens auch eine Sünde!«
»Was?«
Ich gab Daniela gar nicht erst die Zeit, das zu verdauen, sondern fuhr gleich fort. Ich erzählte ihr von dem Mann und den beiden Frauen.
»Der Vergleich stammt von Claudia«, teilte ich ihr mit. »Wenn also jemand deinetwegen leidet, obwohl du keine direkte Schuld daran hast, ist es auch eine Sünde.«
Daniela kochte fast vor Wut. »Wie praktisch!«, tönte sie. »Wenn man es so sieht, ist nämlich alles eine Sünde!«
»Genauso ist es auch!«
Mich traf ein fassungsloser Blick. »Eva …?!«
»Ich weiß, dass es schwer ist, das zu akzeptieren«, gab ich zu. »Ich habe Wochen dazu gebraucht, und im Grunde habe ich es wahrscheinlich immer noch nicht richtig getan.«
»Was?«
»Das mit der Lebenssünde!«
»Wie?«
»Es heißt doch immer, dass wir
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