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Zwei Frauen: Roman (German Edition)

Zwei Frauen: Roman (German Edition)

Titel: Zwei Frauen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Beate Hellmann
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Gesichtsausdruck: gerunzelte Stirn, aufgeblähte Nasenflügel, vorgeschobenen Unterkiefer. Das war einfach zu albern. Da öffnete ich lieber gleich die Schublade meines Nachttisches, fingerte Claudias Brief heraus und überreichte ihn dem Professor.
    »Was ist das?«, fuhr er mich sofort an.
    Ich antwortete nicht.
    »Hat Claudia den geschrieben?«
    Ich nickte, und Mennert riss den Umschlag auf, flog über die Zeilen.
    »Das hat sie ja sehr geschickt angestellt«, meinte er dann. »Wissen Sie, was hier steht?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Sie wissen also nicht, was hier steht?«
    Wieder schüttelte ich den Kopf.
    »Eva, ich warne Sie! Machen Sie endlich den Mund auf!!!«
    Ich hütete mich, ihm diesen Gefallen zu tun – seinetwegen.
    Knapp zwei Stunden war es her, dass ich draußen auf dem Gang mit einer Leidensgenossin gesprochen hatte.
    »Wir haben uns das ja schon vor Wochen gedacht, dass die Claudia so was vorhatte!«, hatte sie gesagt. »Weil du uns abends immer die Schlaftabletten geklaut hast!«
    »Das habt ihr gemerkt?«, hatte ich entsetzt nachgehakt.
    »Das haben wir sogar gemeldet, Eva! Aber der Behringer hat so getan, als wäre es nicht wichtig.«
    »Und Mennert?«
    »Der hat sich gar nicht erst darum gekümmert …«
    Ich hatte also von Anfang an das Richtige vermutet. Sowohl der Professor als auch der Doktor hatten geahnt, dass Claudia Selbstmord begehen würde. Deshalb hatten sie sich verhalten wie die berühmten drei Affen: nichts hören – nichts sehen – nichts sagen!
    Jetzt, da es geschehen war, glaubten sie aber, ihre Menschlichkeit hinter ihrer Treue gegenüber dem Hippokratischen Eid verbergen zu müssen. Deshalb lieferten sie mir diese pseudomoralische Farce, machten mir Vorwürfe, verlangten Erklärungen, und als ich weiterhin hartnäckig schwieg, versuchte Behringer es schließlich sogar im Geheimdienststil.
    »Machen wir es anders!«, schlug er vor, nachdem auch er Claudias Brief gelesen hatte. »Ich frage Sie, Eva: Haben Sie Claudia die Tabletten auf den Nachttisch gelegt?«
    Ich nickte.
    »Sie haben sie ihr nicht in die Hand gegeben?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Sie haben sie ihr aber aus dem Schrank geholt?«
    Dieses Spiel fand ich äußerst spannend, ich nickte.
    »Aber Sie haben nicht gesehen, dass sie die Tabletten geschluckt hat?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Zu der Zeit, um genau einundzwanzig Uhr fünfzig, waren Sie draußen auf dem Korridor?«
    Ich nickte.
    »Jetzt reicht es mir aber!«, schrie Mennert mich da auf einmal an. »Machen Sie endlich die Zähne auseinander, verdammt noch mal! Die Claudia hat das zwar so geschickt eingefädelt, dass Sie im juristischen Sinn nicht zur Verantwortung zu ziehen sind, aber es bleibt trotzdem passive Euthanasie! Haben Sie etwa vor, bis an Ihr Lebensende dazu zu schweigen???«
    Des Professors Stimmgewalt ließ mich weniger erzittern als der Glanz seiner Augen. So gefährlich hatten seine Augen schon einmal geglänzt, damals, unmittelbar bevor er mir diese unvergessliche Ohrfeige verpasst hatte. Wenn ich nicht riskieren wollte, mir eine zweite einzuhandeln, musste ich mir langsam etwas einfallen lassen.
    »Haben Sie denn gar nichts dazu zu sagen???«, blies Behringer da auch noch in das gleiche Horn.
    »Doch!!!«, sprach ich daraufhin mein erstes Wort.
    Neugierige Blicke durchbohrten mich.
    »Dann bitte!«, donnerte Professor Mennert. »Ich höre!«
    Ich holte ganz tief Luft.
    »Lecken Sie mich am Arsch!«
    Das schlug ein wie ein Blitz. Behringer starrte mich an, Mennert wagte vor lauter Schreck nicht einmal zu schlucken.
    Erst nach einer ganzen Weile fasste er sich, riss seinem jungen Kollegen Claudias Brief aus der Hand, den er in seiner Kitteltasche verschwinden ließ, als könnte er ihn damit aus der Welt schaffen. Dann drehte er sich auf dem Absatz um, und ich sah noch, dass er Mühe hatte, sich ein Grinsen zu verkneifen. Bevor ein deftiges Lachen daraus werden konnte, hatte er das Zimmer aber auch schon verlassen, und Doktor Behringer folgte ihm schnellen Schrittes.
    »Lecken Sie mich am Arsch!«
    Obwohl diese Worte durch den Geheimrat Johann Wolfgang von Goethe längst zu literarischen Ehren gelangt waren, hatte ich sie noch nie zuvor in den Mund genommen. Dass ich es jetzt getan hatte, lag daran, dass ich mich gefragt hatte, was Claudia wohl an meiner Stelle gesagt hätte. Und dabei war dann das »Götz«-Zitat herausgekommen. Indem ich Claudias Worte benutzt hatte, war sie mir plötzlich wieder nah, so nah, dass ich glaubte, sie

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