Zwei Geschichten von der See
so nachdenklich und melancholisch schaute sie mit einem Mal aus.
»Und Sie?«, fragte sie schließlich. »Wohnt Ihre Familie in Bahia?«
»Ich habe keine Familie.«
»Witwer?«
»Alter Junggeselle, Ich habe nie Zeit zum Heiraten gehabt. Immer unterwegs, immer auf See, wissen Sie …«
»Haben Sie nie ans Heiraten gedacht? Nie?«
Der Kommandant nahm die Pfeife aus dem Mund, auch sein Blick verlor sich im endlosen Himmel:
»Ich habe nie Zeit dazu gefunden …«
»Nur deshalb? Aus keinem anderen Grund?« Wieder seufzte die Dame, wie um zu verstehen zu geben, dass sie einen ernsteren, schmerzlicheren Grund gehabt hatte.
Dann seufzte auch der Kommandant:
»Warum daran denken?«
»Sie auch?« Und wieder seufzte sie. »Die Welt ist traurig.«
»Traurig nur für den, der allein ist«, gab er zurück.
Die Gruppe um die Künstlerinnen wurde größer, Gelächter und Scherzworte nahmen zu. Auf dem Promenadedeck wurde es lebendig, jetzt waren alle Stühle besetzt. Ein junges Pärchen schlenderte Hand in Hand auf und ab. Der Pekinese kläffte sie an. Die Dame sagte:
»Ich glaube nicht an die Männer, sie sind alle Heuchler.«
Sie war Klavierlehrerin und hieß Clotilde.
Vom Kapitän und seinem Kommando, von der Dame und ihren Seufzern, von der Tänzerin und ihrem Tanz, vom Schiff und seiner Reise durch ein Meer von Rosen und Mädchen
Auf dem Zwischendeck lagen die Venusdienerinnen hingestreckt wie Raupen und feilten ihre Nägel, lasen
Die Leinwand, Filmkunst,
kämmten sich das Haar. Studenten aus der ersten Klasse stiegen hinunter und umstrichen die Mädchen; schließlich begannen sie ein Gespräch und bandelten an. Einer von ihnen spielte Gitarre und begleitete nun eines der Mädchen zu einer damals beliebten
Marchinha,
die von den bevorstehenden Wahlen handelte:
Hör, Tonico, sei parat,
Verrammle deine Butterfässer.
Der Paulistaner ist auf Draht,
er versteht sein Handwerk besser.
Nimm die Knarre, kein Gefackel,
Leg dich mutig auf die Lauer,
Denn sonst wird bei dem Gekakel
Deine fette Milch noch sauer.
Der Kommandant blickte von der Brücke auf die zweite Klasse hinab, eigentlich müsste er hinuntersteigen und mit dem Völkchen ein paar Worte wechseln; auch sie waren seine Passagiere. Wenn er sich auch seinen geheimen Wunsch, die angenehme Gesellschaft der käuflichen Mädchen aufzusuchen, ungern eingestand, so bewahrte er aus seinen Jugendjahren dennoch die frohesten Erinnerungen an Freudenmädchen in Salvadors Bordellen und Pensionen, an Abenteuer in lauschigen Häfen, fern im Pazifik. Er unterhielt sich gern mit Hürchen, mit ihnen fiel ihm ein Schwatz nicht schwer, bei ihnen brauchte er seine Worte nicht auf die Goldwaage zu legen wie bei den weiblichen Passagieren, den jungen Mädchen und vornehmen Damen der ersten Klasse, von denen manch eine die Nase hoch trug. So gelangte er zu der Erkenntnis, das Schiff sei eine Welt im Kleinen, in der es alles gab, von reichen mächtigen Männern, von Politikern und Bankiers bis zu jenen armen Frauen, deren Geschäft ihre Anmut, deren Handwerkszeug ihr verführerischer Körper war. Und was war er selbst? Der unumstrittene König jener Welt, Kommandant und Kapitän, die höchste, die souveräne Instanz an Bord.
Als er an jenem Vormittag vor dem Mittagessen auf die Brücke hinaufging, wagte er im Gespräch mit dem Zahlmeister eine kritische Bemerkung über das Abendessen vom Vorabend. Jene Suppe, jener Fisch – der Herr Zahlmeister möge ein Einsehen haben – waren Gerichte, die man nicht bei hohem Seegang servieren sollte. Auf den großen ausländischen Dampfern sei man in dieser Hinsicht sehr vorsichtig. Der Erste Offizier, der bei der Unterhaltung zugegen war, pflichtete leicht lebhaft bei:
»Sie haben vollkommen recht, Herr Kommandant. Das ist ein betrüblicher Lapsus, der nicht wieder vorkommen soll. Was ich immer sage: Nichts ist so wichtig an Bord wie ein fähiger Kapitän.«
»Nicht dass ich mich in die Angelegenheiten des Schiffes einmischen will … der Senator zum Beispiel, der Arme, hat fast nichts angerührt …«
Der Zahlmeister hörte mit gerunzelter Stirn zu, gab aber angesichts der entschiedenen Haltung des Ersten Offiziers sofort klein bei und entschuldigte sich:
»Tatsächlich, Herr Kapitän, ich habe vergessen, vor der Zusammenstellung des Menüs den Wetterdienst zu befragen. Es soll nie wieder vorkommen. Im Übrigen wird es das Beste sein, Ihnen von jetzt ab die Speisenfolge zur Begutachtung vorzulegen.«
»Tatsächlich …«,
Weitere Kostenlose Bücher