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Zwei Geschichten von der See

Zwei Geschichten von der See

Titel: Zwei Geschichten von der See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorge Amado
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stimmte der Erste Offizier bei.
    »Aber nein, Senhores, das ist nicht nötig. Unter keinen Umständen. Ich wiederhole: ich möchte mich in nichts einmischen, ich bin hier nur …«
    »Sie sind der Kapitän.«
    Das gefiel ihm, besonders die untadelige Haltung des Ersten Offiziers; Geir Matos war ein sympathischer Mann, er würde ihn in seinem Bericht an die Reederei erwähnen.
    Schon nach wenigen Stunden der Seereise und des Zusammenlebens war Vasco unter den Passagieren allseits beliebt. Er unterhielt sich mit allen, gab Auskunft über die Geschwindigkeit des Schiffes – dreizehn Stundenmeilen, Knoten natürlich –, über die Stunde der Ankunft in Recife, die Stunde des Auslaufens; er antwortete bescheiden, wenn man ihn auf sein früheres Seefahrtsleben ansprach und ihn nach dem Anlass zu seiner Auszeichnung fragte. Bescheiden – wenn er sich auch nicht lange bitten ließ.
    So sah er sich nachmittags im Salon von einer zahlreichen Menschenschar umringt, die begierig dem spannenden Bericht seiner Abenteuer folgte. Zuerst erzählte er von einem Sturm im Golf von Bengalen auf einem Frachter unter englischer Flagge und mit fast ausschließlich indischer Besatzung. Das Schiff lief von Kalkutta nach Akyab an der Küste von Birmanien entlang. Diese Route, heimgesucht vom Monsun, bedroht von Meeresströmungen, war stets gefährlich. Trotzdem hatte er bei den zahllosen Malen, die er jenes nicht ganz geheure Meer durchfahren hatte, nie die Elemente in solchem Aufruhr erlebt. Ältere Damen ließen in Anbetracht des aufregenden Berichts ihre Strick- und Häkelarbeiten sinken. Wie konnte man auf die Nadeln achtgeben, wenn der Kapitän auf die Gefahr hin, von einer Sturzsee fortgespült zu werden, auf dem Deck entlangkroch, um einen klapperdürren Inder mit zerschmetterten Beinen und Rippen aus dem Holzgewirr des vom Blitz gespaltenen Mastes zu zerren!
    Der Dritte Offizier blieb im Vorbeigehen stehen und hörte in achtungsvollem Schweigen zu. Er lehnte sich an die Türe und zündete sich eine Zigarette an, der Kommandant sah ihn im Eifer seines Vortrags nicht … Draußen ging der Erste Ingenieur vorbei, der Dritte Offizier rief ihn, und die beiden hörten eine Weile zu.
    Als Vasco gegen nachmittag auf die Brücke kam, überraschte er den Dritten Offizier dabei, wie der mit dem Ersten Offizier, mit den anderen Offizieren und dem Schiffsarzt über seine Abenteuer sprach. Er hörte freilich nur noch einen Satzfetzen:
    »… kroch wie eine Schlange übers Deck …« Bei seinem Anblick verstummte der junge Mann, und der Erste Offizier sagte:
    »Ausgezeichnet, Herr Kapitän. Wir hören soeben von Ihren Heldentaten. Eines Abends werden wir einen Korken knallen lassen, und dann müssen Sie uns Ihre glorreichen Erlebnisse schildern. Wir, die wir nichts anderes tun als die brasilianische Küste hinauf- und hinunterzugondeln, erleben nie so etwas Aufregendes.« Dabei deutete er auf ihn. »Sie werden nicht darum herumkommen, uns Ihre Reisen in allen Einzelheiten zu erzählen.«
    »Das ist gar nicht so weit her, es lohnt kaum die Mühe. Zur Unterhaltung der Fahrgäste mag es noch angehen. Aber für Sie als echte Seeleute …«
    »Jetzt lassen wir Sie nicht mehr los, Herr Kommandant. Wir bestehen darauf.«
    Er blickte auf die Freudenmädchen im Zwischendeck hinunter. Ein politisches Marchinha-Lied, gesungen von der einschmeichelnden Stimme einer Mulattin, drang von unten herauf:
    Julinho kommt.
    Mineiro, sei kein Tor!
    Julinho kommt.
    Mineiro, sieh dich vor!
    Kommt er nicht gleich,
    So kommt er später,
    Schließlich gibt’s ein
    Mordsgezeter.
    Er machte einen Abstecher in die zweite Klasse, dann stieg er in die dritte hinunter. In dieser reisten Flüchtlinge, die einst aus den Dürregebieten in den gepriesenen Süden, wo es Arbeit und Geld geben sollte, ausgewandert waren, und nun, ebenso arm und abgerissen, wieder in den Nordosten zurückkehrten. Die Hoffnung, ihr Schicksal ändern zu können, hatte diese Männer und Frauen eines Tages dahin gebracht, die Saumpfade der Caatinga, der Buschsteppe, entlangzuwandern, sich durch den Urwald zu schlagen, wasserreiche Flüsse und Tafelland in Richtung auf die Hauptstadt São Paulo zu durchqueren. Jetzt hatten sie nur noch den Wunsch, in das ausgedörrte, armselige Land, das ihre Heimat war, in dem sie geboren worden waren und in dem sie sterben wollten, zurückzukehren. Diese ausgemergelten Kreaturen waren ein so bedrückender Anblick, dass der Kommandant rasch zu dem Geklimper der

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