Zwei Geschichten von der See
Würde und Anstand zu altern wusste. Von Zeit zu Zeit lehnten sich ihre Enkel an ihre Knie, um eine Liebkosung, ein Wort, einen Kuss einzuheimsen. Das Pärchen auf Hochzeitsreise befand sich auch in der Gruppe, außerdem zwei Studenten aus Fortaleza und die neben der alten sympathischen Dame sitzende Mestizin, auf deren »ländliche Schönheit« diese dann und wann einen bewundernden Blick warf. Andere Damen und Herren saßen bequem in Polstersesseln, beglückt, mit Persönlichkeiten wie dem Senator, dem großen Strafverteidiger und Anwalt, dem kirchlichen Würdenträger und jener vornehmen alten Dame verkehren zu können, deren Familie im ganzen Land bekannt war. Alle sahen, wie der Kommandant an der Seite Clotildes an Deck auf und ab schlenderte.
»Sie wollten
Balzaquiana
sagen …«, berichtigte ein Student mit der üblichen Anmaßung seines Alters.
»Die Frau Balzacs …«, setzte der Senator mit seiner – wohlbemerkt klassischen – Halbbildung ergänzend hinzu.
»Nein. Ich meinte
Baqueana.
Eines ist die
Balzaquiana,
das andere, ganz andere ist die
Baqueana
. Clotilde Maria da Assunção Fogueira ist eine
Baqueana …«
»Ein langer Name, anscheinend adlig …«, sagte die Frischverheiratete.
»Ihr Vater hatte eine Handelsvertretung und wurde dabei wohlhabend. Ihr Bruder hat die Firma auf die Höhe gebracht und ist heute ein reicher Mann.«
Die weißhaarige Dame hob die Hand, geziert von einem prachtvollen Ring, dessen Schönheit durch die Feingliedrigkeit ihrer Finger noch erhöht wurde. Sie machte eine Gebärde zu dem Rechtsanwalt hin, während sich ihr großes cearensisches Gesicht zu einem Lächeln erhellte:
»Sagen Sie mir, Dr. Morais, was ist der Unterschied zwischen einer
Balzaquiana
und einer
Baqueana?«
»Sie kennen also nicht die Theorie der
Baqueanas,
Dona Domingas? Eine berühmte Theorie, fußend auf psychologischen und psychiatrischen Studien, über die es eine ganze Bibliothek gibt. Ich glaube sogar, Freud hat dem Thema eine Arbeit gewidmet …«, lächelte der Anwalt, glücklich darüber, glänzen zu können.
»Baqueanas?«
, unterbrach Hochwürden Pater Clímaco und schloss sein Brevier, »kommt das von Bach?« In seinem entlegenen Sprengel, im tiefen Innern von Amazonas, waren Grammophon und Platten sein Trost und sein Leben, und Bach war seine irdische Leidenschaft.
Längs des hellen Küstenstreifens durchpflügte das Schiff grüne stille Gewässer. Kühne Jangadas – Segelflöße – stießen vom Ufer ins Meer, Passagiere beobachteten durch die Bulleyes die in der Entfernung winzig wirkenden Segel. Man sah, wie der Kommandant stehen blieb, auf eine Jangada deutete und Clotilde sein Glas reichte.
»Nein, heiliger Pater.
Baqueana
kommt nicht von Bach. Der Unterschied, Dona Domingas, zwischen
Baqueana
und
Balzaquiana
ist groß. Kleine Einzelheiten – große Unterschiede!« Der Rechtsanwalt war in Belém für seine Liebe zum Paradoxon bekannt. Er hatte vor Zeiten ein »Gedanken und Maximen« betiteltes Bändchen veröffentlicht, das von einem lokalen Kritiker für »seine eigenartige Anschauungsweise und seine Stilreinheit, die an Herculano, Garret und Camilo erinnerte«, höchlich gelobt worden war. Sein Anwaltsring mit dem von zwei Brillanten gefassten Rubin sprühte Blitze auf das schwarzgebundene Brevier.
»Dann geben Sie Ihre Theorie zum Besten, lieber Doktor, aber lassen Sie sich nicht so lange bitten«, forderte Dona Domingas, sich im Sessel zurücklehnend, um die »boutades« des Herrn Anwalts, den sie von einer früheren Reise kannte, besser genießen zu können.
»Die – wie gesagt – hochwissenschaftliche Theorie bezieht sich auf die Frau eines gewissen Alters …«
»Meines Alters …«
»Ihre Schönheit, verehrte gnädige Frau, hat kein Alter. Manch junges Mädchen würde viel darum geben, Ihre großmütterliche Anmut zu besitzen … Gut: Die
Balzaquiana
war laut Balzac die Frau von dreißig Jahren. Heute, dank des Fortschritts und der hochentwickelten Haut- und Gesichtspflege, ist eine Frau mit dreißig Jahren noch ein Springinsfeld. Schauen Sie sich doch die Gattin von Dr. Hélio, jenes Arztes aus Natal, an. Sie ist fünfunddreißig Jahre alt, ich weiß es von ihrem Mann. Trotzdem sieht sie noch wie ein junges Mädchen aus.«
»Eine sehr hübsche Frau, in der Tat«, stimmte der Senator zu. »Distinguiert …«
»Aber auf verlorenem Posten. Ihr Mann ist ein alter Affe …«, meinte einer der Studenten.
Hochwürden unterbrach ihn:
»Ein
Weitere Kostenlose Bücher