Zwei Geschichten von der See
dann, als dieser starb, vergrößerte er das Geschäft. Die jüngere Schwester hat einen Ingenieur geheiratet und lebt heute in Rio. Clotilde, begabt und gebildet, war sehr umschwärmt. Sie hatte bei einer Polin, der Frau eines englischen Gummi-Exporteurs, Klavierspielen gelernt. Sie hatte Anlage zur Musik, die Eltern waren entzückt über ihre Tochter, die den Tasten so hübsche Melodien zu entlocken wusste. Sie hätte zu jener Zeit eine glänzende Partie machen können. Sie war keineswegs hässlich und hatte vortreffliche Anlagen.«
»Und warum hat sie nicht geheiratet?«
»Sie wollte zu hoch hinaus. Ihr Fehler war die Anmaßung, sie tat es nicht unter einem Märchenprinzen. Ehe sie recht wusste, was geschah, war ihre jüngere Schwester bereits unter der Haube und erwartete ihren ersten Sohn. Zu jener Zeit tauchte in Belém, von São Luís kommend, ein Arzt auf, der den Beau spielte. Er richtete eine Sprechstunde ein und wartete auf Patienten, inzwischen machte er Clotilde den Hof. Da er musikalisch war, eroberte er sie mit Musik. Außerdem war sie nicht mehr so anspruchsvoll wie früher …«
»Und heute noch weniger … Der Kommandant ist ja ein Tattergreis …«
»Der ist gar nicht so übel und noch immer eine sehr gute Erscheinung …«
»Sie war also etwa einundzwanzig, zweiundzwanzig Jahre alt und zu jener Zeit, als die Frauen im Alter von fünfzehn und sechzehn heirateten, schon ›ein altes junges Mädchen‹. Die beiden verlobten sich, nachdem er ihr ein oder zwei Monate den Hof gemacht hatte. ›Kurze Liebschaft – lange Verlobung!‹ Er mochte sich auf Musik verstehen, aber von der Medizin hatte er keinen blassen Dunst. Er hatte einen dürftigen Patientenkreis und verdiente kaum das nackte Leben. Er aß im Hause der Braut zu Mittag und zu Abend und wohnte in einer Fremdenpension. Die Verlobung zog sich vier oder fünf Jahre hin.«
»Eine lange Verlobung führt nie zum Ziel …«
»Eines Tages endlich verschafften Freunde des Arztes, Politiker aus Maranhão, ihm in Rio eine Stelle als Arzt der Stadtverwaltung oder dergleichen.«
»Er reiste ab und kam nie wieder …«
»Immer mit der Ruhe, Herr Senator. Lassen Sie mich meine Geschichte zu Ende erzählen. Die Hochzeit wurde eilends bestellt, er sollte seine Stellung schon verheiratet antreten. Die Hochzeit sollte mit allem Aufwand gefeiert werden, die Familie war ja stadtbekannt. Die Neuvermählten sollten ein paar Tage nach der Feier gen Rio dampfen. Nun eine interessante Einzelheit: am Tag der Hochzeit fuhr von Belém ein ITA südwärts.«
Wieder sah man durchs Fenster Vasco und Clotilde gemächlich vorbeischlendern, der Kommandant mit seiner Pfeife, sie mit ihrem Hündchen, vermutlich erzählte er eine spannende Geschichte, denn die
Baqueana
war sichtlich Auge und Ohr. Man wartete, bis das Paar in Richtung Bug verschwand.
»Die Hochzeit sollte also im Haus der Braut stattfinden, die standesamtliche wie die kirchliche, das war zu jener Zeit Mode. In vornehmen Familien wurde auf diese Weise Hochzeit gefeiert. Man lud massenhaft Gäste ein, die Tische brachen von Essen und Trinken. Der Arzt hatte im Haus des künftigen Schwiegervaters zu Mittag gespeist, dann fuhr er in die Pension, um sich umzuziehen und seine Koffer ins Hotel zu schaffen, wo das Paar die Hochzeitsnacht verbringen sollte. Die standesamtliche Trauung war auf fünf Uhr nachmittags anberaumt, anschließend sollte die kirchliche Trauung sein. Um vier Uhr war das Haus bereits zum Bersten voll. Um vier Uhr dreißig kam der Priester, ein alter Freund der Familie, zehn Minuten später der Standesbeamte mit seinem Schreiber.«
»Und der Bräutigam?«
»Immer langsam. Der Bräutigam hatte sich verspätet, denn um fünf Uhr zehn, als die Braut in ihrem eleganten Brautkleid das Wohnzimmer betrat, war er noch nicht erschienen. Die Gäste umringten Clotilde, priesen ihren Schleier und das Myrtenkränzchen. Als die Verspätung des Bräutigams das erträgliche Maß von einer halben Stunde erreicht hatte, schickte man einen Boten in die Pension, wo er von der Besitzerin erfuhr, der Herr Doktor sei mit seinen Koffern abgereist, er wolle heiraten. Um zehn Minuten vor sechs Uhr stand der Bote wieder im Hochzeitshaus. Um sechs Uhr drohte der Standesbeamte zu gehen, die Geladenen, die ebenso unbequem wirkten wie sie sich fühlten, begannen Mutmaßungen anzustellen. Um sechs Uhr und zehn Minuten …«
»Ich werde schon ganz nervös …«
»… ging der Bruder der Braut zur Polizei und
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