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Zwei Geschichten von der See

Zwei Geschichten von der See

Titel: Zwei Geschichten von der See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorge Amado
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der Theorie der
Baqueana:
Sobald die Jungfer die achtundzwanzig überschritten und die Hoffnung auf eine Ehe aufgegeben hat, tritt sie in die Reihen der
Baqueanas
ein. Es ist die Zeit, verehrter Pater, wenn die Jungfern dauernd in die Kirche rennen, den Altar schmücken und tagtäglich zur Beichte laufen. Hochwürden kennen das Thema besser als ich. Sie sind verbittert, zänkisch und haben böse Zungen. Sie gehören zur Kategorie der
Großen Baqueana …
«
    »Was ist das für eine Kategorie?«
    »Es gibt Kategorien und Unterkategorien. Die Wissenschaftler, die das Thema genügend studiert haben, teilen die
Baqueanas
in zwei Grundkategorien ein: in die
Großen Baqueanas,
die alten Jungfern, essigsauer und im Allgemeinen der Menschheit feindlich gesinnt, und die Kategorie der
Empfindsamen Baqueanas,
die sich aus verheirateten oder verwitweten
Baqueanas
zusammensetzen. Bei den
Empfindsamen Baqueanas
kommt das Leiden aus der Kenntnis …«
    »Aus dem Wissen wovon?«, wollte die Mestizin wissen.
    »Aus dem Wissen des Grundes, Fräulein Moema. Das Leiden der
Empfindsamen,
Dona Domingas, kommt aus dem Wissen und äußert sich im Verlangen.«
    »Soll das eine Anspielung sein? Wenn ja, dann trifft sie nicht auf mich zu.«
    »Um des Himmels willen, gnädige Frau, Sie gehören doch einer gänzlich anderen Klasse an, der Klasse der ›Schönen erfüllten Großmütter‹.« Er küsste die noch immer schöne Hand. »Bei den
Großen Baqueanas,
den alten Jungfern, kommt das Leiden aus dem Unwissen und äußert sich im Wunsch nach einer Kostprobe.«
    »Das muss schrecklich sein …«, murmelte die Mestizin und ergriff die Hand von Dona Domingas, wie um sich gegen diese beängstigende Möglichkeit zu schützen.
    »Einer Kostprobe wovon?« Der Student verstand auch gar nichts.
    »Vade retro …«, sagte der Priester.
    »Einer Kostprobe der Sünde …«
    »Die
Empfindsamen Baqueanas
haben im allgemeinen Verständnis für die Fehltritte anderer, für Dummheiten, für ausschweifendes Leben. Sie nehmen aus Vorliebe Verliebte unter ihre Fittiche, stiften gerne Verlobungen und Ehen. Nur darf man ihnen nicht allzu sehr trauen, denn Gelegenheit macht Diebe … Die
Großen Baqueanas
hassen hübsche Frauen, Liebeshändel und Neuvermählte wie Sie, Dona Maria Amélia. Eine schwangere Frau zum Beispiel ist für sie unmoralisch.«
    »Wie entsetzlich …«, lächelte das frischgebackene Ehefrauchen, kuschelte sich an seinen Mann und nahm seine Hand.
    »Clotilde ist eine
Große Baqueana.
Aber ein weiteres Merkmal der
Baqueana,
vor allem in der Kategorie der alten Jungfern, ist ihre Eigenschaft, die Hoffnung nicht aufzugeben. In einigen seltenen Fällen kommt es vor, dass eine
Große Baqueana
zu den
Empfindsamen Baqueanas
übergeht, wenn sie heiratet. Genau das versucht Clotilde, die von ihren Klavierschülerinnen ›die Tickige Tilde‹ genannt wird.«
    »Der Kommandant ist ein alter Junggeselle, soviel ich gehört habe«, meinte der Priester. »Es wäre die Begegnung zweier einsamer Seelen, die sich im Herbst des Lebens die Hand reichen …«
    »Sie sind ein Dichter, Hochwürden. Haben Sie nie Gedichte geschrieben?«
    »Armselige Reime zu Ehren der Mutter Gottes und ihres Sohnes …«
    »Hab ich’s nicht gesagt? Also: Clotilde Maria da Assunção Fogueira ist somit ein typischer Fall der
Großen Baqueana
mit verwundetem Herzen. Es handelt sich hier um eine Unterkategorie, Dona Domingas. Eine der interessantesten Unterkategorien. Sie setzt sich zusammen aus den
Großen Baqueanas,
die verlobt, für die Ehe vorgesehen und somit dabei waren, den sündigen Stand der Unverheirateten aufzugeben …«
    »Was für eine Ketzerei!« Der Priester hob die Hand.
    Die Mestizin lachte befriedigt, Dona Domingas lächelte, der Senator beschrieb eine parlamentarische Gebärde, die ebensogut Zustimmung wie Missbilligung bedeuten konnte.
    »… und eines Tages verschwindet der Bräutigam, und die Verlobung ist aus und vorbei. So erging es Clotilde. Die Sache hat damals in Belém viel Staub aufgewirbelt. Ich war gerade zwanzig Jahre alt, sie dürfte etwa zwei Jahre älter sein als ich. Ich bin soeben dreiundvierzig geworden.«
    »Das sieht man Ihnen aber nicht an …«, entfuhr es der Mestizin.
    »Wie ging das zu?«
    »Erzählen Sie uns doch den Fall, Herr Doktor.«
    »Die Familie Fogueira bestand aus dem Vater und drei Kindern, einem Jungen und zwei Mädchen. Clotilde war die älteste der drei. Der Junge ist heute reich, er arbeitete zuerst mit dem Vater,

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