Zwei Geschichten von der See
zur Ersten Hilfe. Erst gegen sieben Uhr kehrte er unverrichteter Dinge und ohne Nachrichten zurück; mittlerweile hatte der Standesbeamte gegen halb sieben Uhr unter Protest das Haus verlassen. Als er mitsamt seinem Schreiber abzog, hatte Clotilde den ersten Schock, den Herold der
Großen Baqueana,
erlitten. Von sieben Uhr an löste sich die Hochzeitsgesellschaft allmählich auf. Die Gäste gingen neugierig, untröstlich fort, sie hatten nicht einen Bissen zu essen, nicht einen Schluck zu trinken bekommen. Um acht Uhr dreißig räumte der Priester, nach vergeblichen Versuchen, die Braut und ihre Angehörigen zu trösten, die Stellung. Um neun Uhr kehrte der Bruder der Braut, der um acht Uhr zu neuen Erkundigungen ausgezogen war, mit der unglaublichen Neuigkeit zurück: Der Elende war auf dem ITA -Dampfer nach Rio abgereist, er hatte seine Passage an Bord bestellt, wo er um Punkt fünf Uhr eintraf, als gerade der Landesteg weggezogen wurde.«
»Donnerwetter …«
»So geschah es, dass Clotilde Maria da Assunção Fogueira sich in die ›Tickige Tilde‹ verwandelte und unmittelbar in die Unterkategorie der
Großen Baqueanas vom Verwundeten Herzen
eintrat …«
»Hat sie nie mehr einen Bräutigam bekommen?«
»Nie mehr, Senhorita Moema. Erstens weil sie, in ihrem Stolz verletzt, lange Zeit nicht mehr bei Bällen und Ausflügen zu sehen war und nur noch hinter verschlossenen Türen zu Hause Klavier spielte. Dann, als sie Lust auf einen neuen Verlobten verspürte, fand sie keinen, der Lust auf sie verspürt hätte … Jetzt lebt sie bei ihrem Bruder, besucht gelegentlich ihre Schwester in Rio, gibt Klavierstunden, pflegt ihren Pekinesen – die
Großen Baqueanas
haben stets Hund oder Katze –, hat ihre Ticks, aber nährt noch immer Hoffnungen, wie Sie sehen. Sie ist eine typische
Baqueana.«
»Eine traurige Geschichte …«, sagte Dona Domingas. »Sie tut mir leid.«
»Der Arzt war aber auch kein sehr sauberer Charakter, das könnte man sagen«, warf Hochwürden ein.
»Wenn das in Natal passiert wäre, hätte er den Hals nicht so leicht aus der Schlinge gezogen. Zumindest hätte er eine gehörige Tracht Prügel bezogen«, erklärte der Senator.
»Und was wurde aus dem Bräutigam?«, fragte die Mestizin neugierig.
»Heiratete die Tochter eines reichen einflussreichen Mannes in Rio. Er blieb zwar in der Stadtverwaltung, eroberte sich jedoch mit dem Geld des Schwiegervaters und der Schönheit seiner Frau eine Stellung unter den oberen Zehntausend. Heute ist er jeden Nachmittag im Jockey-Club zu sehen, er besitzt Rennpferde … Seine Frau ist heute eine
Empfindsame Baqueana.
Eine der empfindsamsten, denn sie hat eine beachtliche Vergangenheit hinter sich. Nach dem, was ich höre, soll sie die berühmteste unter den Stuten ihres Mannes sein …«
»Oho!«, rief der Priester aus, während Dona Domingas herzlich lachte.
»Ich vergleiche dich mit den Stuten Pharaos, meine Freundin …«, deklamierte der Anwalt. »Das stammt aus der Bibel, Hochwürden …«
Pater Clímaco öffnete von neuem sein Brevier:
»Drum sage ich Ihnen, Herr Doktor, Gottes Wege sind mitunter überraschend. Vielleicht hat Gott sie für den Kapitän aufgespart.«
»Nur dass Er sie reichlich spät ausliefert, Hochwürden. Eine überreife Frucht …« Er brach ab, wiegte den Kopf hin und her und setzte hinzu: »Nein, nichts davon. Die überreife Frucht gehört zur
Empfindsamen Baqueana.
Die
Große Baqueana
ist eine verkümmerte Frucht, die nicht gediehen, nicht zur Reife gekommen ist …«
»Eine verkümmerte Frucht, wie entsetzlich traurig …«, sagte die Mestizin. Die Gruppe löste sich auf, es war Zeit, sich fürs Abendessen vorzubereiten. Von neuem wanderten draußen der Kommandant und Clotilde, gleichgültig gegen neugierige Blicke, gegen das Dämmerlicht, das auf dem Meer aufglimmte, lachend vorbei. Nur der Senator und der Anwalt blieben sitzen und blickten dem wiegenden Gang der Mestizin begehrlich nach. Diese, dachte der Anwalt, ist eine beständige Gefahr für jeden Mann. Für sie war man imstande, eine Torheit zu begehen, die Familie, Frau und Kinder zu verlassen, Beruf, Ansehen und Pflicht in den Wind zu schlagen. Der Senator dachte nichts, sein Blick trübte sich in stummer Begierde.
Wo kleine, scheinbar belanglose Ereignisse erzählt werden, die aber durchweg zum dramatischen Ende beigetragen haben
Der Zahlmeister kratzte sich etwas gereizt am Kopf:
»Ich weiß nicht einmal, ob in Natal überhaupt ein
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