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Zwei Geschichten von der See

Zwei Geschichten von der See

Titel: Zwei Geschichten von der See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorge Amado
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Lauf einer Unterhaltung von ihren siebenunddreißig Lenzen gesprochen hatte, war er gezwungen gewesen, sich zu einem Fünfundfünfziger zu verjüngen. Aber das waren Belanglosigkeiten, fünf oder sieben Jahre mehr oder weniger spielten keine Rolle. Wichtig – dachte er – war die Begegnung zweier Einsamkeiten, die nach gegenseitigem Verständnis und Zutrauen lechzten, zweier Zwillingsseelen, die bereit waren, einander die Hand zu reichen und, nachdem die Wunden der Vergangenheit vernarbt waren, in einem unablässigen Liebesfest gemeinsam fortanzuschreiten. Der Kommandant war verliebt, und seine Verliebtheit machte ihn stark und energisch, er war nicht gewillt, Laschheit in der Befolgung seiner Anweisungen zu dulden.
    Die Reise verlief ohne Zwischenfälle, abgesehen von einer heftigen politischen Auseinandersetzung am Vorabend der Ankunft in Natal, in die sich Passagiere und Schiffsoffiziere mischten. Sie war während des Abendessens am Tisch des Zweiten Offiziers entstanden. Anhänger der Liberalen Allianz auf der einen Seite, Regierungstreue auf der anderen, hatten die Eigenschaften und Vorzüge von Getúlio Vargas und Júlio Prestes und ihre Chancen in den Wahlen und mit den Waffen erörtert. Der Zweite Offizier hatte sich als eiserner »Getulist« entpuppt, er war ein Gaucho, schwor auf Flores da Cunha und sprach nur von den Truppen Rio Grande do Suls, die zu Pferd, den Säbel in der Faust – denn der Säbel ist die klassische Waffe des Mannes der Pampa – in Rio einrücken und den geldgierigen verrotteten Politikern die Köpfe abschlagen würden.
    Das Echo der Diskussion drang bis zum Tisch des Kommandanten, wo Clotilde den Platz des in Recife an Land gegangenen Deputierten Othon besetzt hatte. Der Senator rückte unruhig auf seinem Stuhl hin und her, als setzten die von dem General João Francisco befehligten Gauchos ihm schon ihre Degenspitzen auf die Brust. Und schon griff der Streit auf die anderen Tische über. Dona Domingas, Mutter eines Ministers und Bundestagsabgeordneten, führte am Tisch des Kommandanten die Knarren und Repetiergewehre der nordöstlichen Jagunçada, der Banditenhorden, gegen die Lanzen und Säbel der Rio-Grandenser Kavallerie ins Feld:
    »Mit zwei oder drei Cangaceiro-Banden räumen wir mit dem ganzen Gelichter auf! Für Ihren General João Francisco genügt Lampião … Für den brauchen wir nicht mal einen Armeeoffizier mit Uniform und Litzen. Übrigens verdienen diese Deutschen und Italiener, diese Gringos, einmal eine ordentliche Lektion …« Ihr helles, befehlsgewohntes Organ übertönte die Streitenden und ließ sie verstummen. Selbst ihr Sohn, der Minister, beugte sich zu Hause ihrem Willen, wenn sie, aus der bei ihr gewohnten Ruhe heraustretend, ihre entschiedene Stimme erhob.
    »Wir sind keine schlechteren Brasilianer als die anderen«, entgegnete der Zweite Offizier.
    Die Studenten waren im Allgemeinen für die Allianz, wiederholten Stellen aus Ansprachen der getulistischen Redner, sprachen von einer Erneuerung des Landes, einer Sinnesänderung, von notwendigen Reformen.
    Wenig geneigt, sich in Polemik einzulassen, lächelte der Senator bleich und überlegen. So beugte er sich zu dem Kommandanten hinüber, der Neutralität bewahrt hatte und sich nur um Clotilde kümmerte, und fragte mit gesenkter Stimme:
    »Seit wann beschäftigt die
Costeira
, eine von der Regierung subventionierte Reederei, Agitatoren?«
    »Ich weiß nicht, Herr Senator. Wie ich schon die Ehre hatte, Ihnen mitzuteilen, gehöre ich nicht zum Personal der Schifffahrtsgesellschaft. Ich tue ihr nur den Gefallen, das Schiff nach Belém zu führen …«
    »Ist ja wahr, ich hatte es ganz vergessen … Jedenfalls scheint es mir unangebracht, dass ein Schiffsoffizier bei Tisch eine Kundgebung inszeniert, die Passagiere aufwiegelt und die öffentliche Ordnung bedroht. Schließlich bin ich Senator der Republik, ich gehöre der Regierung an, und dieser junge Flegel predigt die Revolution, die Schließung von Senat und Kammer, die Ermordung der Autoritäten …«
    »Sie haben gewiss recht, Herr Senator …«
    Die Diskussion nahm ihren Fortgang im Salon, wo die jungen Leute sich beim Tanz von denen verabschieden wollten, die am nächsten Morgen in Natal aussteigen würden. In einer Ecke hetzte eine Gruppe, die behaglich in Sesseln saß, gegen den Präsidenten der Republik, gegen die allgemeine Situation im Lande, gegen die Teuerung, die stets betrügerischen Wahlen, und forderte dringend eine Erneuerung.

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