Zwei Geschichten von der See
in seinen Armen.
Dazu hatte er als Kapitän kein Recht, das ist klar. Sobald in einem Hafen angelegt wird, darf er an Land das ausgelassenste Freudenfest, die wüsteste Orgie feiern. Während der Führung eines Schiffes jedoch, an Bord, muss er sich verhalten wie ein Heiliger und über jede Versuchung erhaben sein …
»An denen es nicht fehlt …«
Und schon erging sich Dorothy im Raum, man sah ihre geschmeidige Figur, ihre rastlosen Lippen, ihr glühendes Verlangen. Die Rentner und privatisierenden Kaufleute sahen sie leibhaftig vor sich und begehrten sie.
»Und Sie, Herr Kommandant, haben Sie sie vernascht?«
Der vulgäre Ausdruck verdross den Kommandanten. Es war doch Liebe, eine nie da gewesene Liebe, unvergleichlich und widersinnig, die ihn mit Haut und Haaren ergriff und ihm den Verstand raubte von dem Augenblick an, als er sie in seine Arme riss und den Geschmack ihrer Lippen kostete. Er war aber Schiffskapitän; während seiner gesamten Laufbahn in vierzig Jahren Seefahrt hatte er sich nie das Geringste zuschulden kommen lassen. Er konnte, er durfte es nicht tun … Und das sagte er ihr, mit feuchten Augen, er, der in seinem ganzen Leben nie geweint hatte.
Hatte einer der anwesenden Herren jemals versucht, einer Frau die einfachste aller Situationen klarzumachen? Dorothy, noch leidenschaftlicher verliebt als er, maßlos seiner bedürfend, bereit, sich das Leben zu nehmen, sich von Bord zu stürzen, falls er sie zurückwies, Dorothy ging so weit, dass sie eines Morgens bei Tagesanbruch im Nachthemd auf dem Offiziersdeck erschien und an seiner Kajüte klopfte.
Im hauchdünnen Spitzennachthemd, das ihr begehrliches Fleisch nur schwach verhüllte, trippelte Dorothy plötzlich barfuß im Salon des Kapitäns unter den Zuhörern hin und her, und Adriano Meira leckte sich die Lippen.
»Aber da war es um Sie geschehen, nicht wahr, Herr Kommandant?«
Man kannte ihn und sein unbeugsames Pflichtbewusstsein nicht. Es war nicht um ihn geschehen. Er warf ihr über die nackten Schultern einen Regenmantel – das Hemd war tief ausgeschnitten, man sah den Ansatz der bebenden Brüste, Augusto Ramos stöhnte auf – und schleppte sie fast gewaltsam in ihre Kabine zurück. In dieser dramatischen Stunde, zwischen Pflichterfüllung und Liebe, sie halb ohnmächtig in seinen Armen, versprach er ihr, im ersten Hafen an Land und mit ihr für immer auf und davon zu gehen. Irgendwohin, in den stillsten Winkel der Welt. Dann folgte ein Kuss im Angesicht des unendlichen Meeres.
Telegraphisch bat er um seine Entlassung. Von der Schifffahrtsgesellschaft kamen Gesuche und Bitten, neue Angebote mit erhöhtem Gehalt, die Reeder waren außer sich, sein Name hatte doch auf allen Meeren der Welt sowie unter Seeleuten und Reedern einen so guten Klang. Aber er gab nicht nach, er war ein Mann des Worts und obendrein leidenschaftlich verliebt. Im erstmöglichen Hafen, Makassar, einem entlegenen schmutzigen Hafen des Fernen Ostens, nahm er von seiner Besatzung Abschied. Alte Seemänner mit gegerbtem Gesicht weinten, als sie seine treue Hand drückten. Er hatte sich mit Dorothy im Hause einer gewissen Carol verabredet, einer Opiumschmugglerin, der er bei einer bestimmten Gelegenheit einen Gefallen erwiesen hatte. Vergeblich wartete ihr Mann an Bord auf sie, er musste allein weiterfahren.
Nun folgten zwei Wochen des Rausches, des Fiebers in einem am Stadtrand, mitten im Tropenwald versteckten Häuschen, und mit der Wut der Verdammten gaben sie sich ihrer Liebe hin, als errieten sie …
»Ihr Mann tauchte plötzlich auf!«
Was galt ihnen Dorothys Mann, der Trottel! Er hieß Robert, der Kommandant verachtete ihn, er hatte während der ganzen Ereignisse keinen Gedanken an ihn verschwendet. Ein aufgeblasener hohler Wicht, der glaubte, er könnte Dorothys Liebe und Treue mit einer Ehe und Geld erkaufen … Nein, der Mann zählte nicht. Das Fieber, ja, jenes tödliche Inselfieber. In zwei Tagen machte es Schluss mit Dorothy und mit der Laufbahn des Kommandanten. Wie konnte er je wieder ein Schiffskommando bekommen, wieder die Meere befahren, wenn er selbst dort, in dem kleinen Hafen Makassars, den Blick keine Sekunde lang von Dorothys Augen zu wenden vermochte, von jenen verängstigten, riesengroßen Fieberaugen, die ihn anstarrten, als hätte er die Macht, sie zu retten? Sie flehte mit verzerrtem Mund, sie nicht sterben zu lassen, jetzt, wo sie endlich die Lebensfreude gefunden hatte. Er konnte nicht einmal mit ihr sterben, wie er es
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