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Zwei Geschichten von der See

Zwei Geschichten von der See

Titel: Zwei Geschichten von der See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorge Amado
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gewünscht und den Himmel darum angefleht hatte, er war ja immun gegen jenes Fieber, so lange und in so jungen Jahren hatte er schon jene Gewässer befahren. Eine Zeitlang war er wie von Sinnen und verfiel dem Opium, von allen Seiten hagelte es Angebote großer Reedereien; er aber kehrte in seine Heimat zurück. Nie würde er je wieder eine Kommandobrücke betreten, für ihn war alles aus, das hatte er sich an Dorothys Grab feierlich geschworen. Zum ersten und letzten Mal ließ er sich einen Frauennamen in den Arm sticheln. Dabei schob er den Ärmel seines Hemdes zurück und zeigte die Tätowierung: den Namen Dorothy, darunter ein Herz.
    Er zog den Ärmel wieder herunter und kehrte ans Fenster zurück, stand mit dem Rücken zu den Freunden. Sie hatten das Gefühl, ein ersticktes Schluchzen zu hören. Tiefbewegt gingen sie, »Gute Nacht« flüsternd, gemeinsam heim. Zequinha Curvelo ergriff die Hand des Kommandanten und drückte sie warm und mitfühlend. Jeder von ihnen nahm Dorothy mit ihrem Liebesdurst und ihrer Unrast im Herzen mit – ein unvergessliches Bild.
    Allein gelassen, löschte der Kapitän die Lichter im Salon. Er hätte Dorothy lieber nicht getötet, hätte sie lieber nicht in jenem schmutzigen, fieberverseuchten Hafen begraben. Er hätte sie ebensogut an einem zivilisierten Fleckchen Erde an Land setzen können, aber wie konnte eine so besessene, ausschließliche Liebe anders enden als im Tode? Durch den Hausgang schlurfend, den ein Streifen Mondlicht erhellte, sah er wieder die ruhelose verängstigte Dorothy barfuß an Deck vor sich – das war der große Augenblick gewesen!, er sah ihre Brüste, die, ihm entgegengereckt, den Hemdausschnitt zerrissen, er sah die durstigen Lippen, den Leib, der ein einziges Fieber, eine lodernde Flamme war.
    Er stieß die Türe zum Mädchenzimmer auf, nahm Dorothy an der Hand, und die Mulattin Balbina machte dem Kommandanten auf ihrer Bettstatt murrend Platz.
    Wie unser Erzähler sich als etwas niederträchtig entpuppt
    Wer kann in dieser Welt den Neidern entgehen? Je mehr ein Mann in der Wertschätzung seiner Mitbürger steigt, je höher und angesehener seine Stellung ist, desto leichter wird er ein Ziel für die Giftpfeile des Neides, und schon wälzen die Meere der Verleumdung ihre schändlichen Wogen gegen ihn.
    Der Beweis dafür liegt auf der Hand: Dadurch, dass der hochverdiente Dr. Alberto Siqueira unter uns wohnt, verleiht er mit seinen Titeln, seinem Wissen, seiner gestärkten Hemdbrust und seinem Vermögen Periperi Ehre und höheres Ansehen. Wenn er wollte, könnte er sich leichterdings ein Haus in Modebädern wie Pituba oder Itapoa leisten, wo die oberen Zehntausend wohnen oder ihre Sommerferien verbringen. Er zieht jedoch unseren bescheidenen Strandort vor, wo wenige Leute seinem Höhenflug, seiner gehobenen Sprache, seinen aus dem Wörterbuch gespeisten Reden zu folgen vermögen … Eine Bevorzugung, auf die wir alle stolz und für die wir dem Hochverdienten ewig dankbar sein müssten.
    Und was geschieht stattdessen? Man spricht abfällig über ihn. Seine in Fachzeitschriften geäußerten Ansichten, seine scharfsinnige Aussprache scheinen keinerlei Eindruck zu hinterlassen. Ich habe schon die Gelegenheit gehabt, mehrere – ledergebundene – Nummern des »Gerichtsanzeigers« durchzublättern, in denen juristische Gutachten des hochverdienten Herrn Dr. Siqueira Seiten über Seiten füllen.
    Diese Gutachten und Meinungen zu beurteilen steht mir nicht zu, so weit geht mein Anspruch nicht, zumal die Hälfte der Worte lateinisch und die anderen gesperrt gedruckt sind. Aber hat nicht ein anderer Jurist bei der Besprechung eines Gutachtens unseres Herrn Richters in dem genannten Opusculum behauptet, Herr Doktor Siqueira »sei eine Leuchte der Rechtswissenschaft«?
    Nun gut: aber weder derartige gedruckte Beweise noch Zeitschriften von São Paulo oder Lobeshymnen aus der Bundeshauptstadt, nichts dergleichen scheint Leute vom Schlage Doréas, eines jämmerlichen pensionierten Beamten des Gemeindeamts, eines aufgeblasenen Hammels, nur weil er in den Beilagen Bahianer Zeitungen ein paar holprige Verse veröffentlicht, davon abzuhalten, zu behaupten, der Hochverdiente »sei nichts als ein vollendetes Ross, ein unbezähmbarer Esel« – die Ausdrücke stammen von dem Schwachkopf Doréa »die größte Nullität aller Zeiten des Bahianer Forums«. Man sieht, wie weit Mangel an Respekt und verzehrender Neid gehen können … Das Schlimmste ist aber, dass

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