Zwei Geschichten von der See
Zeitgenossen wie Telêmaco Dórea willige Zuhörer und Zustimmer finden, die ihrem erbärmlichen Strohfeuer neuen Brennstoff zuführen.
Ein ganzer Schwarm von Lästerzungen fällt heuer über das Leben des Herrn Richters in Vergangenheit und Gegenwart her. Nicht damit zufrieden, ihm seinen im Süden des Landes anerkannten und bejubelten Wert abzusprechen, nehmen sie auch noch seine Ehre als Magistrat aufs Korn und prangern ihn als käuflich, als erzkäuflich an. So erzählen sie eine etwas undurchsichtige Geschichte von zwei verschiedenen, einander entgegengesetzten Urteilssprüchen ein und desselben Falls, dem ersten, der gegen die Ansprüche einer bedeutenden Exportfirma unseres städtischen Handels entscheidet, dem zweiten, späteren, der die Forderungen des mächtigen Großkaufmanns gutheißt. Ich sehe keinerlei Anlass zu Kritik, wenn neue, den Akten hinzugefügte Elemente – wie der Hochverdiente auseinandersetzt – die Frage grundlegend verändern und die Problemstellung geradezu umkehren. Indessen, nach Aussage gewisser Leutchen von Periperi, seien diese »neuen Elemente« auf ein Paket von fünfhundert Conto de Réis, auf eine halbe Million Cruzeiros hinausgelaufen, die das Bankkonto des Herrn Doktor Siqueira, und nicht die Prozessakten, vermehrten.
So sei das Vermögen des Hochverdienten entstanden, es sei nicht von reichen Eltern ererbt worden. Andere sagen, es sei doch eine Erbschaft gewesen, und zwar eine, die seine Frau mitgebracht habe; der Doktor habe Dona Ernestina nur aus diesem Grund geheiratet, denn schon als junges Mädchen sei sie ein unter dem Spitznamen ›Zeppelin‹ bekannter Fettsack gewesen.
Im Übrigen beschränken sich die Leute nicht darauf, seine Vergangenheit umzuwühlen, sie schnüffeln auch in seiner Gegenwart herum und bringen die zarte Dondoca aufs Tapet. Als ob es ein Verbrechen sei, wenn ein berühmter Mann an den toten Nachmittagen Periperis einen zärtlichen Unterschlupf für seine geistige Taucharbeit sucht. Während Dona Ernestina ihr Ruhestündchen herunterschnorchelt, nimmt der Hochverdiente die Gelegenheit wahr, sich der Phantasie und dem Zauber der süßen Liebe hinzugeben. Er hat mich ehrenvollerweise ins Vertrauen gezogen und mir gesagt, er empfinde sich als Beschützer, ja als Vater der Kleinen. Sie sei ein hintergangenes, verlassenes, grundgutes Geschöpf, das unweigerlich dem abscheulichen Gewerbe der Zuhälterei verfallen wäre, hätte nicht ein starker Freundesarm Dondoca aufgefangen und gestützt. Außerdem dürfe er es sich wohl leisten, eine strenge Moral gelinde zu umgehen – als Entschädigung für seine belastenden, beschwerlichen Ehepflichten.
Belastend und beschwerlich – das kann ich mir bei Dona Ernestinas einhundertzwanzig Kilo vorstellen. Ich konnte nicht umhin, mir das durch die bedauerlichen Eigenschaftswörter des Herrn Richter beschworene Schauspiel auszumalen: jene nackten Fettmassen, die, der Enge von Hüftgürteln und Korsetts ledig, sich auf dem Leintuch wälzen … Sie mussten dem Hochverdienten weiß Gott Belastung und Beschwerde verursachen.
Ich unterdrückte ein Lächeln; es ist unrecht, über diese Dinge zu scherzen, wenn es sich um achtunggebietende Persönlichkeiten wie Herrn Dr. Siqueira und seine zwar fette, aber ehrbare Gattin handelt.
Und was Dondoca betrifft, welche andere Empfindung vermag die Handlungsweise des Herrn Magistrats in mir auszulösen als Dankbarkeit? Nur dank seines hochherzigen Fehltritts ist es mir vergönnt, die Reize der schönsten und feurigsten Mulattin von Bahia unentgeltlich zu genießen, dabei die vom Herrn Richter dagelassenen tadellosen Pantoffeln zu benützen und die von ihm mitgebrachte Schokolade zu futtern. Allein, die Natur des Menschen ist in der Tat bösartig: Selbst wenn ich in dem vom Herrn Richter bezahlten Bett neben Dondoca liege, die von ihm gestifteten Pralinen und Schokoladen esse, den Erzählungen der kleinen Schelmin über gewisse köstliche Eigenschaften ihres Beschützers lausche, kann ich nicht umhin, mir den Hochverdienten vorzustellen, wie er, schwitzend und keuchend, seinen mühsamen Ehepflichten dem Zeppelin gegenüber nachkommt.
Daher vermag ich guten Gewissens kaum jene Zeitgenossen zu verurteilen, die ihre Tage damit verbringen, das Wissen und die Ehre des Hochverdienten lächerlich zu machen. Wenn ich, sein Schuldner für zahllose Vergünstigungen und Gefälligkeiten, seine kleinen Schwächen verlache und verhöhne, wenn Dondoca, sein Schützling, es tut, wie kann
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