Zwei Geschichten von der See
stattdessen einen Betrüger, einen Windbeutel. Schon wurde aus Chico ein wütender Kirchenfeind, der für die Freimaurerei schwärmte, an der Priesterschaft, zumal an Pater Justo, kein gutes Haar ließ und ihm mehrere Geliebte und uneheliche Kinder andichtete.
Wäre ein anderer der Erwählte gewesen, er hätte die Demütigung stillschweigend hingenommen. Selbst Zequinha Curvelo wäre noch zu ertragen gewesen, wenn auch Chico sich beworben hatte, um gerade zu vermeiden, dass der »Ordonnanz« Vascos die längst fällige Ehrung zuteilwerde. Er hatte es just darauf abgesehen, den Sieg des Lobhudlers zu vereiteln, und was war dabei herausgekommen? Eine jämmerliche Schlappe, die schlimmste, die er je erlitten hatte. Ja, er war seit jenem Pokernachmittag so aufgebracht, dass er seinen in Bahia laufenden Prozess ganz vergessen zu haben schien, als gälte es, keinen anderen Feind auf der Welt zu bekämpfen als den Kommandanten Vasco Moscoso de Aragão.
In letzter Zeit, seit dem Nachmittag mit dem Eisberg und den neuen Spielkarten, hatte er die Technik der Andeutungen zugunsten der frontalen Anschuldigungen aufgegeben. Er ging schrittweise vor, zergliederte die Erzählungen Vascos, hob angebliche Widersprüche hervor und machte auf manche seines Erachtens widersprüchliche Einzelheiten aufmerksam.
Man kann nicht behaupten, dass sein Versuch, den Widersacher unmöglich zu machen oder gar zu vernichten, geglückt wäre. Aber fraglos säte seine Beharrlichkeit gewisse Zweifel in den Gemütern und einen unbestimmten Argwohn: Ist der Kommandant wirklich so heroisch, ist seine Laufbahn wirklich so abenteuerlich, so geladen mit Gefahren und Liebeserlebnissen? Kann so viel Aufregendes einem einzigen Menschen widerfahren, kann ein Leben so reich sein, wenn das Dasein aller anderen so mittelmäßig und arm ist?
Adriano Meira, ein alter Spaßmacher und Spötter, hatte sich bei einer bestimmten Gelegenheit, als der Kommandant eine seiner überwältigenden Großtaten, jene Geschichte der im Roten Meer von Haien verschlungenen neunzehn Seeleute erzählte, einen taktlosen Witz geleistet. Vasco war nämlich dank der göttlichen Gnade und seiner Geschicklichkeit im Umgang mit dem Messer, mit dem er den Bauch von nicht weniger als drei heißhungrigen Haien aufschlitzte, gerettet worden.
»Machen Sie’s billiger, mein lieber Kommandant. Es sind zu viele Haie …«
Worauf Vasco ihn mit seinen hellen Kinderaugen anblickte.
»Wie sagten Sie soeben, mein Freund?«
Adriano verhedderte sich, so ruhig war die Stimme, so klar der Blick des Kommandanten. Da er jedoch gerade von einer Unterhaltung mit Chico Pacheco zurückgekommen war, gab er sich einen Ruck und wiederholte den Scherz:
»Zu viele Haie, Herr Kommandant …«
»Was weiß denn mein Freund von Haien? Ist er schon durchs Rote Meer gefahren? Ihre Bemerkung ist völlig unangebracht, das kann ich Ihnen versichern. Es gibt auf der Welt kein Gewässer, das derartig von Haien verseucht ist …«
Nein, er konnte kein Windbeutel sein, er hatte nicht einmal die Spitze und Skepsis der Witzelei und noch weniger den Tonfall des Spaßvogels bemerkt. Wäre er ein Lügner, wie Chico Pacheco behauptete, er hätte sauer reagiert und gereizt geantwortet. Adriano Meira bereute es:
»Sie haben recht, Herr Kommandant. Man sollte nicht über Dinge reden, von denen man nichts versteht …«
»Das sage ich ja immer. Weder reden noch kommandieren …«
Er kannte nämlich »El Gamil«, den ägyptischen Frachter nicht, als er das Kommando des Zement-Transporters für die langsame Reise von Suez nach Aden übernahm. Es war ein Wahnsinn, den er erst bemerkte, als es schon zu spät war: Das Schiff war in erbärmlicher Verfassung, nicht einmal der Maschinentelegraph funktionierte. Glücklicherweise war der getreue Giovanni bei ihm, jener Seemann, um dessentwillen er sich später mit seinem europäischen Reeder verkrachte. Und als »El Gamil« mit einem Leck im Bauch absoff, gelang es nur ihm und Giovanni, sich zu retten; nach dem bereits berichteten Gemetzel von Menschen und Haien wurden sie von einem norwegischen Schiff aufgefischt. Er hatte das schicksalhafte Messer aufbewahrt; wenn sie nächstens bei ihm ein Gläschen kippen kämen, wollte er es ihnen gerne zeigen.
Über jene vorübergehenden Zweifel, jene flüchtigen, augenblicklichen Anwandlungen von Argwohn ging das Ergebnis von Chico Pachecos entfesselter Kampagne nieht hinaus. Adriano Meira beschwerte sich sogar anlässlich ihres nächsten
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