Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zwei Geschichten von der See

Zwei Geschichten von der See

Titel: Zwei Geschichten von der See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorge Amado
Vom Netzwerk:
schließlich mit einem Oberst aus dem Hinterland Bahias zusammentut. Jener Schwede Johann ist in einigen Aufzeichnungen Steuermann, in anderen Kaufmann, Menendez schwankt zwischen Reeder und Teilhaber einer Importfirma, nur sein schlechter Charakter bleibt derselbe. Kurzum: Es ist ein verteufeltes Durcheinander.
    Ich habe schon sagen hören, die Zeit bringe die Wahrheit schließlich an den Tag, aber daran glaube ich nicht. Je mehr Zeit verstreicht, desto schwerer fällt es, Tatsachen festzustellen, greifbare Beweise und aufschlussreiche Einzelheiten zu ermitteln. Wenn es für die Einwohner von Periperi schwierig war, damals herauszufinden, wer die Wahrheit sprach und wer log, kann man sich vorstellen, wie schwer ich mich heute, im Januar 1961 , tue, zweiunddreißig Jahre nach den Ereignissen. Ich bin daher zu dem Schluss gekommen, dass nur der Eingriff des Schicksals in einen jener unaufgeklärten Zufälle bisweilen wirklich zur Erkenntnis der Wahrheit zu führen vermag. Sonst bleibt der ewige Zweifel bestehen: War Maria Antoinette leichtfertig und verdorben, wie es die Sektierer der Französischen Revolution wahrhaben wollen? Oder war sie eine Blüte der Reinheit und Güte, wie sie die Anbeter des königstreuen Obskurantismus hinstellen? Wer ist imstande, nach so langer Zeit die Wahrheit auszugraben? Wer weiß, ob sie mit allen jenen Grafen, den schwedischen eingeschlossen, geschlafen hat?
    Hätte nicht das Schicksal in jenem genauen Augenblick eingegriffen, ich weiß nicht, was in jenem Jahr 1929 gegen Winterende in Periperi geschehen wäre. Denn angesichts der entsetzlichen Enthüllungen Chico Pachecos teilte sich die Bevölkerung in zwei Lager: auf der einen Seite die Parteigänger des Kommandanten, seinen Titel und den Orden Christi schwenkend, auf der anderen seine Schmäher, den Bericht des früheren Steuerprüfers ins Feld führend. So bildeten sich zwei Parteien, zwei Sekten, zwei Säulen des Hasses. Die heftigsten Wortstreite lösten einander ab, und die wenigen Menschen, die wie der alte Marreco einen kühlen Kopf bewahrten, fürchteten, dass es jeden Augenblick zu Handgreiflichkeiten kommen könne. Die Rentner und Privatiers, Rheumatiker mit schlecht arbeitenden Nieren und fast durchweg mit verengtem Harngang, bedrohten einander, beleidigten sich gegenseitig, und eines Tages ging Zequinha Curvelo blindwütend auf Chico Pacheco los und verkündete laut und vernehmlich, er habe gute Lust, ihm seine verpestete Zunge herauszureißen. Der Bahnhofsvorsteher hatte nicht ganz unrecht, wenn er meinte, die alten Leutchen hätten samt und sonders den Teufel im Leib.
    Die Bevölkerung spaltete sich also und damit das Vorstädtchen: auf die Bänke der Bahnstation, die aufs Meer gingen, setzten sich die Jünger des Kommandanten, auf die zur Straße gehenden die Anhänger Chico Pachecos. Der Strand wurde Domäne der Ersten, der Platz Hauptquartier der Zweiten. In Plataforma empfing Pater Justo die Neuigkeiten und hob die Hände zum Himmel: Wie sollte er im nächsten Jahr den Schirmherrn des Sankt-Johannisfestes wählen?
    Aber mitten in diesem Aufruhr blieb ein Mann ruhig und beherrscht und lächelte wie immer gutmütig, leutselig; er erklomm die Felsen, um mit seinem Fernstecher die Ankunft der Schiffe zu beobachten; er mischte abends seinen heißen Grog; er gewann beim Pokerspiel und erzählte seine Geschichten: Kommandant Vasco Moscoso de Aragão.
    Als ihm die ersten Gerüchte des von Chico Pacheco ausgelösten Wirbels zu Ohren kamen, vertraute er seinen nahen Freunden an:
    »Purer Neid …«
    Er zuckte mit den Achseln und schickte sich an, das Ganze zu übersehen. Aber das gelang leider nicht, da seine aufmerksamen Zuhörer von einst ihm teils die kalte Schulter zeigten, teils über seine Geschichten lachten. Selbst viele seiner treuen Anhänger sagten ihm, es sei unbedingt notwendig, dass er etwas unternehme, was die Zunge des früheren Umsatzsteuereinnehmers notorisch Lügen strafe. Nach der mit knapper Not verhinderten Keilerei zwischen ihm und Chico Pacheco schüttete Zequinha Curvelo ihm endlich sein Herz aus:
    »Verzeihen Sie, Herr Kommandant, aber wir müssen etwas tun, um diesen Brunnenvergiftern das Maul zu stopfen.«
    »Ich glaube fast, du hast recht. Zuerst hatte ich mir vorgenommen, das Gewäsch zu überhören. Da es aber Elemente zu geben scheint, die es für bare Münze halten, bleibt mir nichts übrig, als Stellung dazu zu nehmen …«
    In diesem Augenblick hatte er einen seiner besten Momente: die

Weitere Kostenlose Bücher