Zwei Geschichten von der See
eisig durchwehte, der Himmel, dunkelgrau verhangen, kein Zipfelchen Sonne sehen ließ und die Gassen ein einziges Schlammbett waren, trug auch der Kommandant Trauer. Ein schwarzes Band um die Mütze, einen schwarzen Crèpeschleier um den Ärmel des breitkragigen Rocks. Mit bewegter Stimme erklärte er den Freunden, es sei der Todestag von Don Carlos I., dem König von Portugal und Algarve, im Jahre 1908 von republikanischen Hitzköpfen ermordet, kurz nachdem er ihn für seine Verdienste zum Ritter des Ordens Christi geschlagen hatte. Jedes Jahr am gleichen Tag legte der Kommandant Trauer an zum Andenken an den erhabenen Monarchen, der von der Höhe seines Thrones herab die Taten eines Mannes zu verkünden und zu belohnen gewusst hatte, der dem Welthandel neue Seewege eröffnete.
Auf dem an jenem Tag wenig besuchten Bahnhof schleuderte Zequinho Curvelo von seiner dem Golf zugekehrten Bank seinem Gegner Chico Pacheco – der auf der anderen Seite des Bahnsteigs auf der der Straße zugewandten Bank saß – dieses völlig unwiderlegbare Beweisstück ins Gesicht: das Ritterdiplom des Ordens Christi. Nur ein gänzlich Verantwortungsloser sei einer so lächerlichen wahllosen Behauptung fähig: dass ein König von Portugal eine ehrenhafte Komtur ebenso gleichgültig verkaufe wie ein x-beliebiger Krämer Stockfisch oder Zahnstocher verhökere – einen hochehrwürdigen Orden, der aus den Zeiten der Kreuzzüge und Templer stamme, so bedeutend und begehrt, dass die Republikaner den Orden aufrechterhalten hatten und Gouverneure und Diplomaten, Wissenschaftler und Generäle sich um ihn rissen. Es gehöre tatsächlich eine Portion Niedertracht dazu, solchen Unsinn auszusprechen und anzuhören; Periperi verdiene weiß Gott nicht die Ehre, einen Bürger von solcher Berühmtheit und von so untadeligem Ruf wie den Kommandanten in seinem ruhmreichen Alter zu beherbergen, somit den Träger einer Auszeichnung, die in Bahia nur noch J. J. Seabra besaß: den Orden Christi. In Anbetracht von so viel Neid und Undankbarkeit erwäge der Kommandant bereits, fortzugehen und einem zivilisierteren Ort das Vorrecht zu schenken, ihn unter seine Bürger zu zählen.
»Der soll ruhig abhauen«, begann Chico Pacheco zu entgegnen, »und seine Bären anderen Leuten aufbinden, der alte schamlose Lügenbock …«
Aber er sprach nicht weiter, denn in diesem Augenblick lief der Zehn-Uhr-Zug ein, und diesem entstieg ein geheimnisvoller Reisender, der bisher nie im Ort erblickt worden war, einen Gummimantel trug, einen Regenschirm aufspannte und fragte, ob einer der Herren wisse, wo ein gewisser Kapitän auf großer Fahrt, der Kommandant Vasco Moscoso de Aragão, zu finden sei. Er müsse ihn eiligst aufsuchen, um eine wichtige Angelegenheit mit ihm zu besprechen. Freunde und Gegner fanden sich einstimmig bereit, ihn zu dem Haus zu führen, dessen Fenster trotz eines soeben niedergegangenen Regengusses auf das Meer geöffnet waren. Beide Gruppenchefs, Chico und Zequinha, hatten natürlich nichts Eiligeres zu tun, als den Unbekannten über die Art der wichtigen Angelegenheit, die dieser mit dem Kommandanten zu besprechen habe, auszufragen.
Der Fremde ließ sich denn auch nicht lange bitten und erzählte auf dem Wege, in dessen zahllose Pfützen die Füße unablässig patschten, Folgendes:
Ein Dampfer der
Costeira,
der Brasilianischen Küstenschifffahrtsgesellschaft, ein großer ITA , war an jenem regnerischen Morgen mit der Flagge auf Halbmast in Bahia eingelaufen. Auf der Reise zwischen Rio und Salvador war der Kapitän gestorben, der Erste Offizier hatte das Kommando übernommen, aber das Gesetz forderte, dass das Schiff bis zur Ankunft eines neuen Kapitäns der Reederei vom ersten Zwischenhafen an von einem x-beliebigen Kapitän geführt werden müsse, gleichgültig, ob dieser untätig, in Ferien oder im Ruhestand angetroffen werde. Ein sinnloses Gesetz, ohne Zweifel, als ob der Erste Offizier nicht imstande sei, das Schiff bis nach Bélem zu führen, wo ein neuer Kapitän der Schifffahrtslinie bereitstehe, seiner Herkunft nach Paraenser, der seine Ferien zu Hause verbringe und bereits telegraphisch verständigt worden sei.
Der Unbekannte war Senhor Américo Antunes, Vertreter der
Costeira
in Bahia, der diese Nuss zu knacken hatte. Als genügten ihm nicht schon die Vorkehrungen für die Beerdigung des verstorbenen Kommandanten …
»Hat man seine Leiche denn nicht ins Meer gesenkt?«, wollte Zequinha wissen. Hätte die Besatzung es doch getan!
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