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Zwei Geschichten von der See

Zwei Geschichten von der See

Titel: Zwei Geschichten von der See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorge Amado
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eigentlich in der Lage sein, das Licht der Wahrheit in diesem Wirrwarr zu erkennen. Freilich hat der Hochverdiente sich aus der Affäre gezogen und behauptet, er sehe sich außerstande, ohne eingehende Analyse der Prozessakten eine Ansicht, geschweige denn ein Urteil abzugeben. Als hätte er über Chico Pachecos Streitfall mit dem Staat zu befinden und nicht über eine historische Forschungsarbeit, die es auf einen Preis des öffentlichen Archivs abgesehen hat. Die Art und Weise, wie er mit meiner Arbeit ins Gericht ging, verletzte mich, was ich ihm auch sagte. Darauf erwiderte der aufgeblasene Magistrat patzig, meine Studie entbehre der elementarsten Grundlage dessen, was man unter historischer Arbeitsweise versteht. Angefangen bei den Daten. Mit ungenügenden Daten könne sich niemand ein Bild machen, wann die erzählten Ereignisse sich abgespielt hätten, wie viel Zeit zwischen ihnen vergangen sei, es fehlen Tag, Monat und Jahr von Geburt und Tod der Hauptfiguren, und so weiter. Habe man jemals ein Geschichtsbuch ohne Daten gesehen? Und was sei Geschichte anderes als eine Folge von Daten, die Taten und Tatsachen festhält?
    Stumm schluckte ich die Kritik hinunter, in der Tat hatte ich auf diese Einzelheit nicht geachtet. Nun nutze ich die Gelegenheit, um diese Frage zu klären und die notwendigsten Daten anzugeben. Geburts- und Todestage sind mir weitgehend unbekannt, nicht nur die des alten Moscoso, sondern sogar die des Gouverneurs. Was den Kommandanten betrifft, so ist er im Jahre 1950 in Periperi, zweiundachtzigjährig, gestorben; und rechnet man zurück, so stellt man fest, dass er im Jahre 1868 geboren und einige dreißig gewesen sein muss, als er Intimus jener einflussreichen Clique wurde. Wir wissen bereits, dass die von Chico Pacheco berichteten Einzelheiten – gleichgültig, ob wahr oder erfunden – um die Jahrhundertwende, während der Regierungszeit José Marcelinos, geschehen sein und im Jahre 1904 begonnen haben müssen, während der Umzug des Kommandanten nach Periperi ins Jahr 1929 fällt. Welche anderen Daten soll ich vorlegen? Ehrlich gesagt, habe ich keine bei der Hand. Übrigens habe ich Geschichtsdaten genauso wenig auswendig lernen können wie Namen von Flüssen und Vulkanen.
    Außerdem fußt der barsche Einwand des Hochverdienten weniger auf einem gerechten kritischen Maßstab als auf einer Portion Widerwillen, den der Herr Oberlandesgerichtsrat seit einiger Zeit mir gegenüber an den Tag legt. Das hat vor einigen Tagen begonnen. Nun behandelt er mich nicht mehr so zuvorkommend wie früher und lädt mich nicht mehr ein, ihn nachmittags zu Dondoca zu begleiten; und obgleich ich ihn umschwänzle und seine Ansichten und Tugenden lobe, gibt er sich äußerst zurückhaltend und wirft mir nur vorwurfsvolle Blicke zu. Der Anlass dieser plötzlichen Veränderung ist mir unbekannt. Es muss eine Intrige dahinterstecken, in Periperi fehlt es nicht an Ränkeschmieden, und viele dieser Kanaillen beneiden mich um die Freundschaft mit einem Juristen, dessen Arbeiten in Zeitschriften des Südens erscheinen.
    So muss ich das Schlimmste ins Auge fassen: Sollte der Hochverdiente einen, wenn auch nur leisen Verdacht gegen meine Liebschaft mit Dondoca hegen? Das wäre ein Verhängnis. Als ich das Thema bei dem kleinen Käfer anschnitt, wurde ich noch unruhiger, da Dondoca eine Veränderung am Benehmen des Hochverdienten festgestellt hat, der sie plötzlich ausfragt, Kopfkissen und Leintücher untersucht und ihr alle Augenblicke Treueschwüre abverlangt.
    Und das zu all den Schwierigkeiten, die mir meine Arbeit, meine schwere Aufgabe, die vollständige Wahrheit über die umstrittenen Abenteuer des Kapitäns darzustellen, pausenlos einträgt. Vor mir liegt ein Berg Aufzeichnungen, das Ergebnis meiner Forschungen. Und was ist das Ergebnis? Nehme ich die einen, schwimme ich sofort mitten auf dem Meer, ich segle durch asiatische Gewässer, Richtung Ozeanien, und Dorothy ist die verängstigte Frau des achtlosen lieblosen Millionärs, den sie aus Liebe zu einem Schiffskapitän verlässt, in dessen Armen sie in einem schmutzigen Hafen von Makassar aus Leidenschaft und Fieber stirbt. Wähle ich die anderen, ist Dorothy eine Insassin der Pension Monte Carlo – die nach meinen Ermittlungen tatsächlich im ersten Stock eines Gebäudes bestanden hat, in dem sich später die Redaktion des »Diário da Bahia« niederließ – die die Liebhaber wechselt wie das tägliche Hemd, die mit jedem ins Bett steigt und sich

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