Zwei Herzen im Winter
miteinander um, wechselten nur ein paar höfliche Belanglosigkeiten. Die zärtlichen Bande zwischen ihnen waren endgültig zerrissen. Er hatte die Sinnlosigkeit eingesehen, sie zur Heirat zu überreden, und er war fest entschlossen, seine Gefühle für sie zu begraben.
Vorsichtig stieg Emmeline die steilen Stufen nach unten, eine Hand an der Rundung der feuchten Mauer. Bei jedem Schritt wuchs ihre Beklommenheit vor dem Geständnis, zu dem sie sich in dieser schlaflosen Nacht durchgerungen hatte. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals. Sie wollte Talvas von ihrer Schwangerschaft berichten, und wenn er auf einer Heirat bestehen sollte, war sie bereit, sich in ihr Schicksal zu fügen. Die Entscheidung lag nicht mehr bei ihr allein, sie musste an das Wohl ihres Kindes denken.
„Ich dachte, sie nimmt die Mahlzeiten in ihrem Gemach ein …wie bisher“,murmelte Talvas, als er Emmeline im Torbogen zur Großen Halle wahrnahm. Er sammelte auf einmal die Pergamente ein, sehr zum Erstaunen seines Burgvogts, der ihm gerade die neuen Aussaaten für den Frühling vorschlagen wollte.
Matilda legte ihrem Bruder die Hand auf den Arm. „Bleib, Talvas. Du kränkst sie, wenn du wegläufst.“
„Vermutlich läuft sie vor mir weg, wenn sie mich sieht“, entgegnete er mürrisch.
Und dann blieb ihm der Mund vor Staunen offen, als Emmeline energischen Schrittes der Hochtafel zustrebte. Der fließende Fall ihres fliederfarbenen Bliauts umschmeichelte ihre schlanke Gestalt, die Enden der spitz zulaufenden Ärmel reichten beinahe bis zum Boden. Die Goldstickerei am Saum ihrer leicht gerafften Röcke schimmerte bei jedem Schritt. Sie wirkte wie eine zarte Frühlingsblume in den ersten wärmenden Strahlen der Sonne. Ihre großen grünen Augen und ihre vollen rosigen Lippen leuchteten im hellen Antlitz.
Matilda erhob sich halb von der Bank. „Komm, Emmeline, und leiste mir Gesellschaft beim Frühmahl.“
Emmeline streifte Talvas mit einem flüchtigen Blick, der vornübergebeugt vor sich hin brütete. Ängstlich fragte sie sich, woher in Gottes Namen sie die Kraft nehmen sollte, ihm ihre Entscheidung mitzuteilen.
Matilda, die ihren Blick bemerkte, lächelte ihr aufmunternd zu. „Achte nicht auf ihn. Er ist wie ein alter Brummbär, wahrscheinlich ist er mit dem falschen Fuß aufgestanden. Setz dich zu mir.“ Sie klopfte auf den Platz neben sich.
Emmeline raffte die Röcke und setzte sich neben Matilda, sie fand die Luft in der Halle stickig und unerträglich heiß.
„Hast du gut geschlafen?“, fragte Matilda im Plauderton und trank einen Schluck Met.
„Ja, danke“,antwortete Emmeline, die Lüge kam ihr leicht über die Lippen. Dabei hatte sie dumpfe Kopfschmerzen, und ihre Augen brannten, da sie fast die ganze Nacht ruhelos hin und her gewandert war, von Zweifeln und Schuldgefühlen gepeinigt. „Mein Bett ist weich und warm und das Gemach behaglich“, fuhr sie seltsam gestelzt fort. Ihre helle Stimme drang wie eine süße Melodie an Talvas’ Ohr und schien an dem Wall zu rütteln, den er um sein Herz errichtet hatte. Die gestochen scharfe Schrift auf der Pergamentrolle, die er krampfhaft festhielt, begann vor seinen Augen zu tanzen.
„Talvas ist so vertieft in seine Listen“, murmelte Matilda, „dass er es nicht einmal für nötig hält, das Wort an uns zu richten!“ Er wandte sich vollends ab, sein breiter Rücken türmte sich wie eine Wand auf und schloss die beiden Frauen aus.
Er leidet furchtbar, dachte Emmeline traurig, und ich bin schuld daran. Ich bin schuld an dem Leid zwischen uns. „Ich muss mit ihm reden“, murmelte sie.
Matilda warf ihr einen verständnisvollen Blick zu. „Iss einen Happen“, schlug sie vor, „dann lasse ich euch alleine.“
Emmeline starrte blicklos in die Schale mit heißer Gemüsesuppe, die vor ihr stand. Ihr Magen rebellierte, Übelkeit stieg in ihr auf. Nein, nicht jetzt! Nicht, ehe sie die Chance gehabt hatte, mit ihm zu reden.
„Iss, Emmeline“, drängte Matilda, brach ein Stück Brot und legte ihr die Hälfte vor.
„Ich bin nicht hungrig“, wehrte Emmeline ab. Der Mund war ihr wie ausgetrocknet. Sie schluckte.
„Was fehlt dir?“, fragte Matilda besorgt. „Du bist blass … und deine Hände zittern.“
Emmeline wünschte, sie würde leiser sprechen, um Talvas’ Aufmerksamkeit nicht auf sich zu lenken. Mit einem flüchtigen Seitenblick über Matildas Schulter stellte sie fest, dass er nach wie vor ins Gespräch mit seinem Vogt vertieft war.
Matildas Gesicht hellte sich
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