Zwei Herzen im Winter
hast begriffen … Bitte sei nicht so“, stammelte sie.
„Wie denn?“, entgegnete er bitter und schob ihre Hand beiseite. „Ich habe schon einmal einen furchtbaren Verlust erlitten, ich bestehe auf einer Eheschließung, Emmeline.“
Verzweiflung überschattete ihr Gesicht, zerrte an ihrer Seele. „Aber du verlierst mich doch nicht. Du … musst mich nicht heiraten, damit ich bei dir bleibe.“
„Die Kirche billigt kein Zusammenleben zwischen Mann und Frau ohne Heirat. Man würde dich wie eine Dirne behandeln, wenn du nicht meinen Namen trägst.“ Seine Stimme hörte sich immer heiserer an. „Und ich kann dich nicht beschützen. Das sagte ich dir bereits.“
„Seit wann kümmerst du dich darum, was andere Leute denken, Talvas?“ Emmeline stand unsicher auf. Seine Bitterkeit ergoss sich wie ätzende Säure auf die zarten Bande zwischen ihnen, fraß sich durch die dünnen Fäden ihrer Zuneigung. Schwindel ergriff sie bei dem Gedanken, ihn zu verlieren. „Kannst du das nicht einsehen?“ Ihre Stimme bebte. „Talvas! Ich will deine Frau sein, nur nicht dem Namen nach.“
Im fahlen Mondlicht wirkten seine Augen glanzlos, traurig. „Das reicht mir nicht, Emmeline. Das reicht mir nicht.“
19. KAPITEL
Nicht weit von der Burg Hawkeshayne entfernt, am Ufer einer weiten Flussbiegung, befanden sich die lang gestreckten Bauten einer Schiffswerft, Holzschuppen und Warenlager. Überall herrschte geschäftiges Treiben, da die Werft landauf, landab berühmt war für das handwerkliche Können ihrer Schiffbauer und Zimmerleute. Hier ließ auch Talvas seine Schiffe nach eigenen Bauplänen anfertigen, entweder um sie zu verkaufen oder um selbst damit auf große Fahrt zu gehen.
Der Wind seufzte in den kahlen Ästen der hohen Buchen, als Talvas Emmeline den schmalen Pfad durch den Wald zu den hohen Gebäuden führte. Mit jedem Schritt wuchs ihre Wehmut. Nachdem er sie verstört und sprachlos im Garten stehen gelassen hatte, war sie in ihr Gemach geeilt, hatte sich aufs Bett geworfen und ihren Tränen freien Lauf gelassen. Wieso war Talvas so uneinsichtig? Wie konnte er von ihr die Bereitschaft zur Ehe erwarten nach allem, was sie ihm anvertraut hatte? Gerade er müsste doch wissen, was in ihr vorging, und Verständnis dafür aufbringen. Aber der Gedanke, ihn zu verlassen, quälte sie so sehr, dass sie sich sogar mit dem Gedanken trug, mit ihm vor den Altar zu treten. Selbstzweifel und Ängste nagten an ihr und raubten ihr den Schlaf. Sie hatte ihn länger als eine Woche nicht gesehen, sich in den Gemächern aufgehalten, die ihr zugeteilt worden waren, und suchte verzweifelt nach einer Lösung aus ihrem Dilemma.
An einer abschüssigen Stelle rutschte Talvas auf dem glitschigen Boden aus, blieb stehen und drehte sich zu ihr um. „Hier musst du aufpassen“, warnte er schroff, ohne sie an zusehen, streckte ihr aber die Hand entgegen. Die Berührung ihrer warmen Finger zog ihm das Herz vor Sehnsucht zusammen. Innerlich fluchend ließ er ihre Hand los, sobald die gefährliche Stelle überwunden war, und stapfte weiter. Als sie ihn an diesem Morgen angesprochen hatte, beschleunigte sich sein Puls in der närrischen Hoffnung, sie habe ihre Meinung geändert. Doch ein Blick in ihr versteinertes, bleiches Gesicht hatte ihn eines Besseren belehrt. In wohlgesetzten höflichen Worten hatte sie ihn gefragt, wie weit die Reparaturarbeiten an der Belle Saumur fortgeschritten seien, geradeso als sei nichts zwischen ihnen gewesen, als hätte nie eine schmerzliche Auseinandersetzung stattgefunden. Ihr Entschluss, in die Normandie zurückzukehren, stand jetzt felsenfest. Ihre kühle Distanz hatte ihn erzürnt. Am liebsten wäre er zur Werft geritten und hätte ihr Schiff eigenhändig zertrümmert, um sie an der Abreise zu hindern.
Emmeline hielt sich bei dem steilen Abstieg am Ast eines knorrigen Baumes fest und schöpfte Atem. Es fiel ihr zunehmend schwerer, mit Talvas Schritt zu halten, der wütend voranstürmte. Der Abstand zu ihm vergrößerte sich, und sie kannte den Grund. Matildas einsetzende Monatsblutung hatte Emmeline stutzig gemacht. Seit ihrer Ankunft in England hatte sie ihre Regel nicht bekommen. Letzte Nacht hatte sie sich ruhelos im Bett gewälzt und versucht, ihre Ängste zu verdrängen, bis sie mit zitternden Fingern die Tage zu zählen begann. Schließlich musste sie sich der Tatsache stellen: Sie trug Talvas’ Kind. Mit aufeinandergebissenen Zähnen kämpfte sie gegen die Übelkeit an, die in ihr hochstieg.
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