Zwei Herzen im Winter
wie weit sie von der Burg entfernt war, wusste nur, wenn sie nicht schleunigst Land erreichte, würde sie ertrinken. Mit letzter Anstrengung schwamm sie dem Ufer entgegen.
Es dauerte nicht lange, bis sie Sand und Schlick unter ihren Händen spürte. Vergeblich versuchte sie mit den Fingern im glitschigen Grund Halt zu finden. Ihre Füße versanken im Morast, rutschten immer wieder weg. In der Zeit, in der sie flussaufwärts geschwommen war, hatte die Ebbe eingesetzt, der Wasserspiegel senkte sich und Sandbänke tauchten auf. Verbissen kämpfte sie sich durch den Morast, bis ihre Hände Grasbüschel zu fassen bekamen, an denen sie sich die Böschung hinaufzog, bis sie endlich harten Boden unter sich spürte. Völlig erschöpft, mit stechenden Schmerzen in der Brust, legte sie sich auf den Rücken, richtete den Blick in den Himmel und sah nichts als schwarze Finsternis, durchzogen von grauen Nebelschwaden. Wo in Gottes Namen war sie gestrandet?
Sie richtete sich mühsam auf und schlang die Arme im Sitzen um ihren schlotternden Körper. Während sie um ihr Leben geschwommen war, hatte sie die eisige Kälte kaum wahrgenommen, doch nun drang sie durch die nassen Kleider und lähmte sie. Der Lehm, der ihr an Armen, Beinen und im Gesicht klebte, begann hart zu werden. Sie musste einen Unterschlupf finden, sonst würde sie erfrieren. Der schneidende Wind trieb ihr vereinzelte Schneeflocken ins Gesicht, schmerzhaft wie Nadelstiche.
Emmeline zwang sich aufzustehen und setzte mühsam einen Fuß vor den anderen, achtete darauf, das Rauschen des Flusses zur Rechten als Orientierungshilfe nicht zu verlieren. Mit ausgestreckten Armen tastete sie sich voran, um in der Dunkelheit nicht gegen einen Baum zu prallen. Gelegentlich stolperte sie über Wurzeln und Steine, raffte sich aber wieder auf und setzte ihren Weg verbissen fort; sie wollte nicht sterben. Es begann heftiger zu schneien, die Flocken wirbelten wie verrückt gewordene Geistwesen vor ihren Augen.
Und dann sah sie etwas. Einen groben Schatten in der Ferne. Eine Holzhütte, ein Unterschlupf für Jäger oder Weidetiere. Sie taumelte darauf zu, schluchzend vor Erleichterung. Das immer dichter werdende Schneegestöber verklebte ihr die Augen, bedeckte ihr Gesicht, ihr Haar. Unverdrossen zwang sie sich, die bleischweren Füße zu heben, Schritt um Schritt weiterzukämpfen, bis sie entkräftet zusammenbrach. Auf Händen und Füßen kroch sie weiter, und dann berührten ihre klammen Hände trockenen festgetretenen Boden und Heu, viel Heu. Sie schleppte sich weiter, verkroch sich tief in dem Heuhaufen, deckte sich mit dem Stroh zu, so gut sie es vermochte, bevor der Schlaf sie übermannte.
Diese Stimme. Diese dunkle melodische Stimme rüttelte an ihrem Bewusstsein, holte sie aus lähmender Finsternis. Widerstrebend setzte ihr Verstand ein. Keine nassen Kleider klebten an ihr, eine wohlige Wärme durchdrang sie, weckte in ihr den Wunsch, die Gliedmaßen zu strecken. Sie wagte eine vorsichtige Bewegung, tastete mit den Fingern um sich und stellte erschrocken fest, dass sie nackt war, eingehüllt in einem weichen Pelz. Gütiger Himmel! Wo war sie, was war mit ihr geschehen? Mühsam schlug sie die bleischweren Lider auf.
Talvas hockte vor ihr auf dem Lehmboden, den breiten Rücken gegen eine mit Lehm und Stroh ausgekleidete Holzwand gelehnt. Ein Arm ruhte auf seinem angewinkelten Knie. Seine Gestalt wurde vom Schein eines Feuers erhellt, das in der Mitte der Hütte brannte, geschützt von einem niederen Steinwall. Gelegentlich fuhr ein Windstoß in die Flammen, deren Flackern dazu führte, dass sein Aussehen etwas leicht teuflisch Verwegenes hatte.
„Ihr!“ Sie drehte sich ihm im raschelnden Heu zu, glaubte ihren Augen nicht zu trauen, während sie sich mit der Zunge über die ausgetrockneten Lippen fuhr und Salz schmeckte.
Ein Lächeln überzog seine Gesichtszüge, er drehte spielerisch einen dürren Zweig zwischen den sehnigen Fingern. „Ja, ich bin es.“
Er sollte längst über alle Berge sein! Jäh richtete sie sich auf, krallte ihre Finger in die Pelzdecke, um ihre Nacktheit zu verbergen. „Talvas, Ihr müsst fort“, flüsterte sie erschrocken. „Ihr seid in höchster Gefahr. Man sucht nach Euch.“ Ihr Zopf hatte sich gelöst, und ihr wirres, immer noch nasses Haar hing ihr wie ein goldener Vorhang über die Schultern.
„Das hat nichts zu bedeuten“, entgegnete er achselzuckend.
„Aber Maud? Sie hat Eure Burg besetzt und will sich an Euch
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