Zwei Herzen im Winter
fragte er, zeigte auf die Narben und lehnte sich gegen die Wand.
„Er stieß mich die Stiege hinunter. Er hatte sich nach einer erfolgreichen Handelsfahrt in einer Taverne betrunken.“ Sie warf Talvas ein dünnes Lächeln zu. „Wenn er unterwegs war, hatte ich wenigstens Ruhe vor ihm.“ Emmeline zerrupfte ein Büschel Heu zwischen den Fingern. „Ich wusste, dass er betrunken war, als er die Eingangstür zuschlug und nach mir brüllte. Ich war oben im Haus und wollte gerade zu Bett gehen.“ Ihre Stimme bebte. Sie errötete in der schmachvollen Erinnerung, wie Giffard sie gewaltsam aufs Bett geworfen und ihr das Nachthemd zerfetzt hatte. „Und … und … als es endlich vorbei war … sagte ich ihm … oh mein Gott!“ Sie barg das Gesicht in den Händen, sackte in sich zusammen. Tränen perlten durch ihre Finger.
Talvas stieß die geballten Fäuste in ohnmächtigem Zorn auf den Lehmboden. Er zwang sich, sitzen zu bleiben, im Wissen, dass sie verstummen würde, sobald er sie trösten wollte. Er wollte ihre Leidensgeschichte bis zum Ende hören, musste alles wissen. „Was hast du ihm gesagt, Emmeline?“, ermutigte er sie behutsam, fortzufahren.
„Barmherziger Gott, verzeih mir!“, stieß sie schluchzend hervor. „Ich … erzählte ihm von dem Baby. Wie dumm! Wie konnte ich nur so dumm sein!“ Sie trommelte mit den Fäusten gegen die Wand, Lehm bröckelte zu Boden. „Ich sagte ihm, dass ich ein Kind erwarte, sein Kind …“ Ihre Stimme überschlug sich, wurde ein gequältes Wimmern. „Das bereue ich bis zum Ende meines Lebens.“ Sie hielt die Hände vor Augen, um ihrem Tränenfluss Einhalt zu gebieten.
Ihr verzweifeltes Schluchzen ging ihm durch und durch, zerrte an seinem versteinerten Herzen. Jeder Muskel, jede Sehne in ihm war angespannt in hilflosem Zorn. „Ich habe versucht, das alles zu vergessen“, fuhr sie leise fort. „Ich habe versucht, ein normales Leben zu führen und zu vergessen, was er mir angetan hat. Aber ich kann nicht vergessen. Es ist immer da. Ich blutete die ganze Nacht, Talvas. Aber das Kind war bereits bei seinem Faustschlag verloren.“ Sie wandte ihm ihr tränenüberströmtes Gesicht zu. „Er machte das aus mir, was ich heute bin.“
„Bei allem, was mir heilig ist!“ Talvas sprang auf die Füße, lechzte danach, diesen Hundsfott zur Rechenschaft zu ziehen. Emmeline sah hinter ihrem Tränenschleier, was in ihm vorging: Zorn, mörderischer Zorn und Rachedurst. „Der Bastard sollte bitter dafür büßen, was er dir angetan hat!“
„Er ist tot und begraben, Talvas.“ Emmeline versuchte zu lächeln, ihre Tränen versiegten allmählich. Ein seltsames Gefühl der Befreiung durchströmte sie, die Fesseln ihrer Vergangenheit begannen sich zu lösen.
Talvas ging vor ihr in die Knie, bemühte sich, seinen inneren Aufruhr zu beschwichtigen. Er tippte ihr sanft mit einem Finger an die Stirn. „Aber nicht in deinem Kopf, nicht in deiner Seele. Ich wünschte bei Gott, ich könnte es ungeschehen machen.“ Er wölbte die Hände um ihr Gesicht, sah die tiefen Schatten unter ihren Augen, wünschte sich inständig, ihre Pein zu lindern. Seine Daumen strichen sanft über ihre Wangenknochen.
„Ich habe noch nie mit einem Menschen darüber gesprochen“, sagte sie zitternd. „Und ich weiß nicht, warum ich es dir erzählt habe.“ Was mochte sie bewogen haben, ihm ihr Herz auszuschütten? Lag es an der inneren Ruhe, die Talvas ausstrahlte, lag es daran, dass er ihr aufmerksam zugehört hatte, ohne sie zu unterbrechen?
Talvas trat an den aufgeschichteten Stoß Brennholz in der Ecke der Hütte und nahm ihre mittlerweile trockenen Kleider an sich, die er dort ausgebreitet hatte, und blickte sie lange an. „Ich bin froh, dass du mit mir darüber gesprochen hast, chérie .“
Emmeline dankte ihm mit einem zaghaften Lächeln und wusste, dass sich etwas zwischen ihnen verändert hatte. Gegenseitiges Verständnis und Vertrauen brachte sie einander näher. Durch einen Spalt hinter ihm in der Holzwand sah sie Schneeflocken durch die Nacht tanzen. Emmeline unterdrückte ein Gähnen, sie fühlte sich völlig erschöpft. Talvas lächelte. „Wir brauchen Schlaf. Es ist spät geworden, und wir müssen im Morgengrauen aufbrechen.“ Auf ihren fragenden Blick nickte er. „Ja, ich bringe dich zu deiner Schwester … in Sicherheit. Du ziehst dich besser wieder an.“ Er hielt ihr die Kleider hin. „Ich warte draußen.“
Obwohl sie in ihren trockenen Kleidern, eingehüllt in den
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