Zwei Katzen unterm Weihnachtsbaum
hätte ihn gereizt, die Krallen daran zu schärfen wie an einem Baum, aber das tat doch noch zu weh. Dafür benagte er die Blätter einer großen Topfpflanze – wenigstens ein bisschen frisches Grün – und suchte dann selbständig die Kiste mit dem Streu auf.
Dann legte er sich wieder auf seine Decke, und da niemand anwesend war, erlaubte er sich, in ein lang anhaltendes Schnurren zu verfallen, das, wie er wusste, der Heilung zuträglich war.
Um seinen Gastgeber kümmerte er sich wenig. Der Mann verfolgte so seinen ganz eigenen Rhythmus, hatte er festgestellt. Nachmittags verschwand er lange Zeit und kam nur ganz selten mal für kurze Momente in die Wohnung, um nach ihm zu schauen. Er kehrte erst in der Nacht zurück, putzte sich, aß etwas, schaltete manchmal die große Flimmerkiste ein oder blätterte in den Zeitschriften. Dann ging er zu Bett. Morgens schlief er, bis es hell wurde, hielt sich in der Wohnung auf, sprach mit dem komischen Ding in seiner Hand, das ihn manchmal anschnurrte, oder hämmerte mit den Fingern auf einem Brett herum, vor dem ein flaches Gehäuse stand, das ebenfalls flimmernde Bilder erzeugte.
Dazwischen versuchte er hin und wieder, seine – Raufers – Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Aber er drehte sich demonstrativ weg, wann immer er ihn ansprach oderihn »Raufer« nannte. Wer war er denn, dass er auf einen Namen hörte, den ein Mensch ihm gegeben hatte?
Auch wenn der einer Übersetzung seines realen Katzennamens recht nahekam.
An diesem Nachmittag aber änderte sich etwas. Er wurde aus seinem schnurrenden Dösen aufgeschreckt, als fremde Schritte vor der Tür zu hören waren. Und dann kam die Frau herein – gefolgt von einem heulenden Ungeheuer!
In heller Panik sprang Raufer auf und suchte Schutz. Er fand ihn in der schmalen Spalte zwischen Schrank und Wand, und hier machte er sich ganz klein.
Vielleicht war das ein Fehler, denn die Schreckliche schob den Tisch auf Rollen davor, auf dem die große Flimmerkiste stand, und damit war ihm der Rückweg verbaut.
Als sie endlich fort war, versuchte er, aus seinem engen Versteck hochzuspringen, was ihm, wäre er gesund gewesen, mit Leichtigkeit gelungen wäre. Jetzt aber konnte er die festbandagierten Vorderbeine nicht recht einsetzen, und mehrmals landete er unsanft auf seinem Hinterteil. Frustriert blieb er zwischen Schrank und Wand sitzen und putzte sich, wo immer er drankam.
Einige Zeit später kam der Mann wieder und rief nach ihm.
»Raufer! Raufer, wo bist du?«
Nein, er hörte nicht auf diesen Namen. Nein, nein! Auch ein Kater hatte seinen Stolz.
»Raufer, du bist doch irgendwo hier!«
Natürlich. Aber ich höre nicht auf dich, Mensch!
»Raufer! Raufer?«
Dann sprach der Mann wieder mit sich oder dem Gerät.
»Ella, der Kater ist fort. Hat er sich an Ihnen vorbei aus der Tür geschlichen?«
…
»Nein, danke. Hätte mich auch gewundert.«
…
»Staubsauger scheinen Katzen nicht zu mögen, machen Sie sich keinen Vorwurf.«
Und dann rief der Mann wieder nach ihm.
»Raufer, ich stelle dir frisches Futter hin. Wenn du Hunger hast, wirst du schon aus deinem Versteck hervorkommen.«
Es klapperte, und köstlicher Duft zog zu dem eingesperrten Kater hin. Dann verließ der Mann die Wohnung wieder.
Ärgerlich.
Noch etliche Male versuchte Raufer, sich durch einen Sprung zu befreien, kratzte an dem Schrank, an der Tapete – nichts tat sich.
Die Dunkelheit senkte sich über den Raum, und erschöpft schlief er schließlich ein.
Als das Licht aufflammte, war er sofort wieder wach.
»Raufer? Nichts gefuttert?«
Hätte er ja gerne.
»Raufer, ich weiß, dass du hier bist. Ich weiß auch, dass du Maunzen und Fauchen und alle möglichen anderen Geräusche machen kannst.«
Helles Köpfchen – der Mensch.
»Raufer!«
Sein Magen knurrte. Und ungemütlich war es auch hinter dem Schrank.
Aber wenn er zeigte, dass er auf diesen Namen hörte, dann würde zwischen ihm und dem Mann ein Band entstehen, das er nicht knüpfen wollte.
Andererseits – wenn er hier nicht rauskam, würde er elendig verhungern.
Raufer rang mit sich.
Schließlich schluckte er eine große Portion Stolz hinunter und sagte leise: »Mau.«
»Raufer?«
Na gut, ein bisschen lauter: »Mau.«
»Hör ich dich? Oder spinne ich schon? Raufer?«
Ganz laut: »Maumaumau!«
Der Tisch wurde zur Seite geschoben, und mit hochnäsigem Blick humpelte der Kater aus der Enge heraus. Zum Napf. Futtern.
Jetzt musste er es wohl zulassen, dass der Mann ihm dabei
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