Zwei Schritte hinter mir
konnte. Hätte ich mich nur von Allisons Bruder nach Hause fahren lassen, dann läge ich jetzt sicher in meinem Bett. Aber ich hatte Allisons Angebot abgelehnt. Ich hatte ihre Bedenken fortgewischt und war allein nach Hause gelaufen, im Dunkeln, obwohl die Polizei Mädchen seit Wochen davor
warnte. Ich war stehen geblieben und hatte das Feld angesehen. Ich hatte kurz überlegt, ob ich den Umweg gehen sollte. Aber auch das hatte ich nicht getan. Ich wünschte, ich hätte es getan. Dann wäre ich meinem Entführer nicht über den Weg gelaufen. Vielleicht – ich schäme mich zuzugeben, dass ich das dachte – hätte er dann jemand anderes an meiner Stelle entführt. Dann wäre alles anders gewesen.
Vielleicht aber auch nicht – ich schauderte bei dem Gedanken.
Vielleicht hatte er sich nicht auf diesem Feld versteckt, um auf das nächste Mädchen zu warten, das so unvorsichtig war, die Abkürzung zu nehmen. Vielleicht hatte er alles sorgfältig vorher geplant. Vielleicht hatte er mich seit Tagen beobachtet. Vielleicht hatte er meine Gewohnheiten studiert und kannte den Weg, den ich normalerweise von und zur Schule ging. Ich dachte nach. Seit ich von der Elgin Street abgebogen war, hatte ich keinen Menschen mehr gesehen. Ich hatte auch nichts gehört. Vielleicht hatte er auf der Straße gegenüber von Ralphs gestanden. Vielleicht hatte er mich aus dem Bus steigen sehen. Und dann war er in sein eigenes Auto oder seinen Laster gestiegen und war zum Feld vorausgefahren, weil er wusste, dass ich bald dort sein würde. Vielleicht hatte er auf dem Feld auf mich gewartet, weil man mich dort wegen der Büsche und der Bäume nicht sehen konnte.
Als er mich gepackt hatte, hatte ich geglaubt, ich müsste sterben. Ich hatte gekämpft – um mein Leben gekämpft. Ich hatte getreten und versucht, mich loszumachen. Ich hatte ihn gekratzt – zumindest glaubte ich das. Dann hatte mich etwas in den Arm gepikst und jetzt war ich hier.
Ich zitterte unter meiner Decke. Ich konnte nicht zulassen, dass er mich wieder schnappte. Er durfte mir nicht das Gleiche antun wie den beiden anderen Mädchen.
5
Als die ersten Sonnenstrahlen dorthin fielen, wo ich unter den Felsvorsprung lag, wachte ich auf. Ich war steif, mir war kalt, ich hatte Hunger und Durst, aber ich bewegte mich nicht. Zumindest nicht gleich. Stattdessen lag ich still und lauschte auf meine Umgebung. Lauschte auf ihn. Doch ich konnte nur Vögel hören, die in den Baumwipfeln zwitscherten und sangen.
Ich streckte den Kopf heraus und sah mich um. Im Morgenlicht sah der Wald wesentlich weniger bedrohlich aus. Die meisten Bäume in meiner Nähe waren Kiefern, deren gerade Stämme sich hoch in die Luft streckten, bevor sie ihre immergrünen Zweige ausstreckten und gegenseitig um das Sonnenlicht wetteiferten. Auf dem Waldboden lag ein dichter Teppich aus Kiefernnadeln, zwischen denen die grünen Spitzen und dünnen Stängel verschiedenster Pflanzen hervorsprossen. Umgestürzte Bäume und Felsvorsprünge sprenkelten die Landschaft.
Es war keine Menschenseele zu sehen.
Ich kletterte unter dem Felsvorsprung hervor und suchte den Horizont ab.
Nichts.
Mein Herz klopfte heftig. Ich griff nach der Decke, zog sie heraus und faltete sie in die Plastikfolie. Dann schnürte ich mein kleines Bündel, doch zuvor musste ich noch etwas überprüfen. Ich zog meine Jacke aus.
Etwas fiel zu Boden und glitzerte im Sonnenlicht.
Es war ein Stück einer goldenen Kette. Woher kam es?
Dann fiel es mir wieder ein. Als ich von hinten angegriffen worden war, hatte ich getreten und mich gewehrt. Und weil ich den Arm meines Angreifers nicht von meinem Hals lösen konnte, hatte ich nach hinten gegriffen und versucht, ihn zu kratzen oder ihn irgendwie dazu zu bringen, dass er mich losließ. Ich hatte etwas zu fassen bekommen – die Kette – und daran gezogen. Die beiden Glieder an den Enden der Kette auf dem Boden waren kaputt. Ich hatte sie wahrscheinlich zerrissen. Aber wie war sie in meine Jacke geraten?
Ich betrachtete die Innenseite. Im Futter war ein kleiner Riss. Wahrscheinlich war mir die Kette hinten in die Jacke gefallen und hatte sich darin verfangen. Ich hob sie auf und steckte sie in die Tasche meiner Jeans. Vielleicht konnte die Polizei mit ihrer Hilfe meinen Entführer finden – vorausgesetzt, ich kam aus diesem Wald raus.
Ich zog mein T-Shirt aus und tat, was ich eigentlich vorgehabt hatte: Ich sah mir meinen Arm an. Es war nicht leicht zu finden, aber schließlich sah ich es –
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