Zwei Schritte hinter mir
ein kleines Einstichloch. Ich hatte recht gehabt. Man hatte mir mit einer Nadel in den Arm gestochen. Ich zitterte in der kühlen Morgenluft sowieso schon, aber bei dem Gedanken, dass mich jemand unter Drogen gesetzt hatte, wurde mir noch kälter. Ich zog meine Sachen wieder an, schnürte mein Bündel zu und warf es mir mithilfe des Seils über die Schulter. Ich sah zum Hügel hinauf, ob von dort Gefahr drohte. Als ich davon überzeugt war, dass dort oben niemand war, schlich ich mich auf Händen und Knien hinauf und blieb so dicht wie möglich am Boden.
Bevor ich mich aufrichtete, sah ich mich noch einmal gut um, dann suchte ich nach dem jungen Baum mit dem Stück Kordel. Er war leicht zu finden. Dann stellte ich mich so hin, dass er zwischen mir und dem Horizont lag, so wie in der letzten Nacht. Es war meine Markierung, meine einzige Hoffnung. Jetzt musste ich mich nur noch an das erinnern, was mein Grandpa mir beigebracht hatte.
Bis vor zwei Jahren hatte ich meinen Großvater kaum gekannt, zum Teil, weil er weit weg wohnte, aber zum
größten Teil, weil meine Mutter ihn nicht mochte. Grandpa wohnte im Buschland außerhalb einer Kleinstadt im Norden. Nachdem er sein ganzes Leben für eine Bergbaugesellschaft gearbeitet hatte, hatte er sich dort zur Ruhe gesetzt. Meine Mutter nannte ihn immer »den Einsiedler«. Deshalb stellte ich ihn mir als verrückten alten Mann mit einem langen Bart vor, der allein lebte und nie mit einem anderen Menschen sprach. Doch wie sich zeigte, wohnte er zwar allein, ging jedoch regelmäßig in die Stadt und jeder dort schien ihn zu kennen. Er konnte kaum drei Schritte gehen, ohne von jemandem begrüßt zu werden, der wissen wollte, wie es ihm ergangen war seit seinem letzten Einkauf in der Stadt. Gelegentlich arbeitete er; dann führte er Touristen durch die Wildnis, die die freie Natur erleben wollten, und einmal auch eine Filmgesellschaft, die Naturaufnahmen für einen Action-Abenteuerfilm drehen wollte. Doch meist genoss er einfach den Frieden und die Einsamkeit.
Obwohl meine Mutter ihn nicht sonderlich leiden konnte, verkündete sie vor zwei Jahren, dass ich die Sommerferien bei ihm verbringen sollte. Zuerst sträubte ich mich gegen ihre Pläne. Ich sagte, ich wollte nicht mal einen Tag, geschweige denn den ganzen Sommer mit einem verrückten Einsiedler verbringen, den ich kaum kannte, mitten in einem dreckigen Wald, den ich hasste, obwohl ich noch nie einen Tag darin verbracht
hatte. Unnötig zu betonen, dass ich den Kampf verlor. Sobald die Schule vorbei war, wurde ich in einen Bus gesetzt, der in einem seiner früheren Leben bestimmt einmal ein Schulbus gewesen war, und wurde nach Norden in eine Stadt verfrachtet, die ich nicht einmal auf einer Karte gefunden hätte, wenn mein Leben davon abgehangen hätte. Den ganzen Weg lang kochte ich vor Wut. Ich wusste, dass mein Großvater gerne allein war. Ich wusste, dass er die Ruhe vorzog. Mein Dad hatte mir erzählt, dass sein Vater hirnloses Geplapper nie hatte ausstehen können. Würde er von mir erwarten, dass ich den ganzen Sommer über den Mund hielt? Der Gedanke daran machte mich wütend. Ich hatte nicht darum gebeten, den ganzen Sommer bei ihm zu verschwenden, für wen hielt er sich also, dass er von mir absolutes Schweigen verlangte, wie von einer Nonne im Kloster? Vielleicht wollte er mich ja nicht einmal da haben? Vielleicht hatten sie ihn nur dazu überredet, mich aufzunehmen, weil ich schließlich seine Enkelin war.
Ich fand heraus, dass er so schweigsam war, wie mein Dad gesagt hatte. Er hatte keinen Fernseher und keinen Computer, aber dafür ein Funkgerät, mit dem er die Feuerwehr und das nächste Polizeirevier erreichen konnte, falls etwas passierte. Wenn er nicht arbeitete oder wanderte, las er.
Mann, der konnte lesen. Bei jedem seiner Besuche
in der Stadt ging er entweder zur Bibliothek oder zur Post, um Bücherpakete abzuholen, die er per Post bestellte. Auch mich forderte er auf zu lesen, und ich tat es. Was hatte ich schon für Alternativen? Entweder lesen oder herumsitzen und den ganzen Tag die Bäume ansehen. Er brachte mir bei, wie man draußen kocht und backt. Er nahm mich auf Ausflüge mit dem Kanu mit. Und wir gingen wandern. Manchmal waren wir tagelang unterwegs, nur mit einem Rucksack und einem Schlafsack für jeden, und einem kleinen Zelt, das Grandpa aufstellte, damit wir trocken blieben. Es wurde der beste Sommer meines Lebens.
Bevor ich ging, schmiedeten wir Pläne, dass ich im nächsten Sommer
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