Zwei Schwestern
Marias Zimmer, die auf demselben Gange, wie Rikars, und nicht weit von ihnen lagen. Sie sahen wie eine Kanzlei aus. Viele Papiere und Bücher lagen in der musterhaftesten Ordnung herum, auch sah man Proben von Landwirthschaftsgegenständen in Fächern oder Papieren aufbewahrt. Das Mädchen schlief in diesen Gemächern mit der Amme und einer Magd, um in jedem Augenblike, wo es nöthig sein sollte, gewekt werden zu können. In die Zimmer Camillas und der Mutter war ich noch nicht gekommen, obwohl sie mich öfter dahin eingeladen hatten; denn wir brachten schier die meiste Zeit im Freien zu, da das Wetter gar so schön war. Ich konnte wirklich nicht sagen, wie eine Wolke auf dieser Hochebene aussähe, und ich konnte mir einen trüben Tag auf derselben nicht vorstellen. Nur in der heißesten Tageszeit, wie ich bereits sagte, war man auf seinen Zimmern. Ich las da meistens etwas, oder stand an dem Fenster und sah hinaus. Und selbst da sah ich manchmal Maria, von ihrem breiten Strohhute überschattet, in dem Garten wandeln, und sah das hohe Roth des Sonnenstrahls und der emsigen Geschäftigkeit auf ihren Wangen.
Wir wurden alle immer vertraulicher, so daß von den einigen Tagen des Bleibens keine Rede mehr war, sondern daß ich immer wieder blieb, und wieder blieb.
Maria war so ehrlich und offen, wie sie sich gleich am ersten Tage gegen mich gezeigt hatte. Rikar war gerade so, wie er bei unserer Reisebekanntschaft und dann bei unserem Aufenthalte in der Dreifaltigkeit gewesen war. Er war der einfache bescheidene Mann, der sich mit seinen Verhältnissen nicht aufdringt, aber er war freundlich gefällig, und zeigte eine besondere Zuneigung und Anhänglichkeit an mich. Die Mutter war zwar ebenfalls nicht zuvorkommend und mittheilsam mit ihren besonderen Verhältnissen, aber sie war einfach, war klar, anmuthig, und hatte jene Offenheit, aus der man sieht, daß man bei einer Familie willkommen ist. Camilla kümmerte sich um die Gartenangelegenheiten nicht so, wie Maria, sondern sie pflükte nur zuweilen Blumen, und machte Kränze. Sie war sehr weich zart und edel, aber es war etwas sonderbares an ihr, etwas verwelkendes und verblühendes, als hätte sie einen geheimen Kummer, und als zehre ein innerer Gram an ihr. Beide Mädchen hatten die Bildung der höheren Stände erhalten, das sah man an dem geregelten und ruhigen Benehmen derselben.
Wir waren einmal, wie die Mutter vorgeschlagen hatte, auf das Gratek gegangen. Es war dies ein nicht gar weit von dem Hause gelegener Punkt von unbeträchtlicher Höhe, der aber wegen seiner günstigen Lage eine bedeutende Aussicht both. Wir sahen Sanct Gustav in einer grünen üppigen Thalfurche liegen, die sich zwischen kahlen Bergen dahin zog, wir sahen manche Landhäuser, manche Hütten, und in der Ferne manche weiße Punkte, die ebenfalls Wohnungen sein mochten. Wir sahen noch manche andere grüne Thallinie, die sich wie ein feines Sammtband in den grauen und von ferne her blaulich schimmernden Felsen dahin wand. Nachdem wir alles beschaut hatten, und nachdem wir mit dem Fernrohre alle weißen Pünktchen aufgesucht hatten, und Rikar uns alle Namen von den Dingen, die uns besonders auffielen, gesagt hatte: gingen wir wieder auf unsere einförmige Haide und in unser einsames Haus zurük.
Ein ander Mal war ich mit Rikar allein auf der Adostaspize. Ich hätte dem alten Manne nimmermehr die Rührigkeit im Felsenklettern zugetraut. Er mußte sich in seiner Jugend viel in der hiesigen Zerklüftung der italienischen Alpen herum getrieben haben. Der Umblik von der besagten Bergspize war wirklich außerordentlich. Ich will nichts von dem duftenden Gewimmel der Berggipfel sagen, die man auch von andern Bergen sieht, aber die große Ebene war es, welche man hier übersieht, und welche wirkte. Ohne die einzelnen Merkmale des Bewohntseins zu gewahren, war es nur ein einfacher unkenntlicher undeutlicher erschütternder Hauch, der in der Trübe des Himmels gehend und in ihr schwimmend die Seele mit dem ganzen riesenhaften Eindruke des Unendlichen erfaßte. Das Meer hatte ich nicht gesehen, aber ich nahm mir vor, wenn ich die Merkmale der Klarheit, die ich recht gut kannte, ganz besonders an dem Himmel gewahrte, hin zu gehen, um den Glanz, der fabelhaft draußen liegen mußte, zu erspähen.
Ein drittes Mal waren wir in den Hallthälern, sanften grünansteigenden Weiden in dem Gesteine. Wir waren an den Felsen gesessen, die die Lüfte des Nordens und den kühlen Hauch, der von daher kommen könnte,
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