Zwei Seiten
nicht ganz kalt.«
Meine Mutter betrachtete mich. Ihre Gesichtszüge waren angespannt. »Vielleicht solltet ihr etwas auf Abstand gehen.«
Ich stoppte in meiner Bewegung, die Wasserflasche wieder in den Kühlschrank zu stellen. Meinte sie das ernst? »Da ist nichts zwischen mir und Julia. Nicht so was. Wie kannst du das bloß glauben?«
»Tu ich doch gar nicht.« Mama hob die Hände. »Sie scheint ein nettes Mädchen zu sein, aber wenn schon andere die Situation missverstehen, wie wird es dann erst Julia gehen?«
Ich hatte den Blick gesenkt und sah jetzt langsam wieder auf. »Du glaubst, Julia könnte denken, ich wäre …?«
Meine Mutter zuckte mit den Schultern. »Wer weiß schon, was in ihrem Kopf vorgeht?« Sie tätschelte mir den Arm. »Du wirst schon das Richtige tun.«
Ich kannte Julia jetzt seit einigen Monaten. Manchmal dachte ich, sie trotz der kurzen Zeit besser zu kennen, als sonst irgendjemanden. Nein, wenn Julia da etwas missverstanden hätte, wäre es mir aufgefallen. Ich lächelte. Natürlich. Wie hatte ich auch nur für eine Sekunde etwas Anderes denken können? Ich bedeckte Mamas Hand mit meiner. »Julia weiß, dass wir nichts außer einer total guten Freundschaft haben.« Ich streichelte ihre kalte Hand. »Du brauchst dir wirklich keine Sorgen machen.«
Wir waren einige Schritte in Richtung Wohnzimmer gegangen. Jetzt blieb ich stehen und sah sie an. »Du findest sie wirklich nett?«
Meine Mutter nickte.
Ich wollte sichergehen, das richtig verstanden zu haben. »Also ist es für dich in Ordnung, dass … dass meine Mitbewohnerin eine Lesbe ist?«
»Ich muss es nicht verstehen oder gutheißen«, sagte Mama. »Wer bin ich, hier die Richterin zu spielen?«
Spontan schloss ich sie in die Arme. Bis zu diesem Moment war mir gar nicht bewusst gewesen, wie wichtig es mir war, was meine Mutter über Julia und mein Zusammenleben mit ihr dachte. Ich atmete erleichtert aus. Sie mochte Julia.
* * *
Als wir das Wohnzimmer betraten, schaute mich Julia auf eine Weise an, die mich an ein ängstliches Reh erinnerte.
Popeye lag auf ihrem Schoß und wurde ausgiebig gekrault.
Ich lächelte Julia an und reichte ihr das Glas Wasser, bevor ich wieder neben ihr Platz nahm.
Popeye schaute kurz auf und ließ dann seinen Kopf wieder sinken.
Ich musste schmunzeln. Vermutlich wäre ich auch auf Julias Schoß geblieben. Äh, also als Hund.
»Julia, erzähl mal was von dir«, sagte meine Mutter, nachdem sie sich wieder in ihrem Sessel niedergelassen hatte.
Julia beugte sich vorsichtig über Popeye und stellte das Glas auf dem Couchtisch ab. »Da gibt es nicht viel zu erzählen. Ich habe zwei Brüder. Einen zwei Jahre älteren und einen Zwillingsbruder.«
»Scarlett erzählte mir, du kommst mit deinem Zwillingsbruder nicht besonders gut aus. Obwohl ihr euch ja wohl ziemlich ähnlich seid. Ihr studiert sogar das Gleiche, richtig?«
Meine Mutter, wie immer sensibel wie ein Presslufthammer. Ich hatte ihr doch gesagt, dass das Thema gemieden werden sollte. Verdammt.
Julia verzog für einen Sekundenbruchteil das Gesicht, bevor sie freundlich lächelte. »Noch bin ich Studentin, aber ich hoffe, im Februar fertig zu werden.«
»Scarlett hat mir erzählt, du wirst Ärztin.«
Gott sei Dank sprang Mama darauf an.
»Äh, ja. Derzeit mache ich ein Praktikum im Krankenhaus. Im Anschluss reiche ich meine Doktorarbeit ein.«
»Aha. Und weißt du schon, in welchen Bereich du gehen willst?«
Erstaunlicherweise hatte ich mich das nie gefragt. Aber die Antwort interessierte mich jetzt auch.
Julia trommelte mit dem Zeigefinger auf der Couchlehne rum. »Ich bin nicht ganz sicher. Eventuell Gynäkologie. Aber um ehrlich zu sein, versuche ich derzeit, in so viele Bereiche wie möglich reinzuschnuppern, um das Richtige für mich zu finden.«
Meine Mutter schien sich jetzt fragetechnisch auf Julia eingeschossen zu haben und ignorierte mich total. »Wie kommst du denn auf Gynäkologie?«
Julia nahm einen Schluck und lehnte sich zurück. »Gynäkologie ist am facettenreichsten. Von Endokrinologie bis Chirurgie ist alles dabei. Es ist so viel mehr als Kinder auf die Welt zu bringen. Aber, wie gesagt, ich weiß nicht mit Sicherheit, was ich machen werde. Internistische Medizin reizt mich auch. Was ich derzeit ausschließen kann, sind Orthopädie und Psychiatrie. Das sind zwar auch sehr interessante Bereiche, aber ich kann mir nicht vorstellen, auf Dauer damit glücklich zu werden.«
Mama nickte. »Und … wie ist es, mit meiner
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