Zwei Seiten
freundschaftliche Nähe mit einer Lesbe haben zu können. Obwohl … ich mochte es gar nicht, auf diese Weise an Julia zu denken. Sie war nicht Julia, die Lesbe. Sie war einfach Julia.
* * *
»Wer kommt denn da?«, rief Daniel, als Julia und ich gegen acht Uhr im »Versteck« auftauchten. »Wenn das mal nicht unser Traumpaar ist.«
»Willst du nicht mal einen anderen Spruch bringen?«, brummte ich und schaute zu Julia, die mit den Augen rollte.
In letzter Zeit machten Daniel und Nathalie ständig solche Scherze. Anfangs hatte es mich geschockt. Ausgerechnet mich in diese Ecke zu stellen. Mittlerweile nervte es mich nur noch. Sie behaupteten, so tolerant zu sein, aber dass eine heterosexuelle Frau mit einer Lesbe bloß eine platonische Freundschaft hatte, war für sie offenbar undenkbar.
»Hi, Mädels, was kann ich meinem Lieblingspärchen heute bringen?«, fragte Lucy, unsere Stammbedienung.
»Du nicht auch noch«, stöhnte Julia.
Lucy schaute irritiert auf ihren Notizblock.
Daniel und Nathalie lachten und ich warf ihnen einen bösen Blick zu.
»Hab ich was verpasst?«, fragte Lucy und guckte zwischen allen Beteiligten hin und her.
»Julia und ich sind kein Paar«, sagte ich. »Ich bin heterosexuell und stehe auf Männer. Irgendwelche Fragen?«
Lucy öffnete den Mund, sagte jedoch nichts. Sie sah zu Nathalie und Daniel, anschließend wieder zu mir und Julia. »Okay«, sagte sie, aber es klang fast wie eine Frage. Lucy räusperte sich. »Was wollt ihr trinken?«
»Guinness«, murmelte ich und starrte auf den Tisch vor mir. Ich war wirklich sauer. Was war bloß los mit allen? Fanden die das etwa witzig?
»Ich auch«, sagte Julia.
»Okay. Kommt sofort.« Lucy drehte sich um und ging einen Schritt, blieb aber dann stehen und wendete sich uns wieder zu. »Tut mir echt leid, Scarlett.« Sie schaute auch zu Julia.
Die ignorierte Lucy jedoch und begann, eine Bierdeckelpyramide zu bauen.
Ich nickte. Kaum war Lucy verschwunden, sagte ich: »Ihr müsst echt alle an euren Vorurteilen arbeiten.«
Nathalie und Daniel sahen einander mit gerunzelter Stirn an.
* * *
»Was grinst du denn so?«, fragte Julia.
Ich sah auf. »Tue ich das?«
Julia ließ sich neben mich auf die Couch fallen. »Machte zumindest den Anschein.« Ihr Blick landete auf dem fast leeren Becher Ben and Jerry‘s Eiscreme in meiner Hand. »Ist das der Letzte?«
Ich schaute auf den Becher und murmelte: »Kann schon sein.«
Julia griff nach dem Löffel und schaufelte sich etwas Eis in den Mund. Dann gab sie mir den Löffel wieder. »Du denkst wohl, nur weil du jetzt auch dreimal pro Woche im Fitnessstudio trainierst, kannst du es dir leisten, jede Woche einen Liter von diesem Zeug zu verdrücken.« Nach einer kurzen Pause tippte sie mit dem Zeigefinger meine Nase an. »Und du hast recht damit.« Sie stand auf und ging zur Tür.
»Du bist also nicht böse, dass ich dir wieder nichts übrig gelassen habe?« Ich konnte nicht glauben, wie leicht sie mir immer vergab, wenn ich unser letztes Eis platt machte.
Julia war schon halb aus der Tür und winkte ab. »Nicht, wenn du gleich mit ins Studio kommst.«
Ich sprang von der Couch auf. »Lass uns gehen.«
* * *
»Julia, Julia!« Ich schmiss die Eingangstür hinter mir zu und hastete von Raum zu Raum auf der Suche nach meiner Mitbewohnerin. Ich bog in die Küche ein und prallte gegen Julia. »Uff.«
Julia hielt mich an den Schultern fest. »Was ist los?«
Ich schloss sie in die Arme. Als ich sie wieder losließ, begann ich, auf und ab zu springen. »Die Ergebnisse der Zwischenprüfungen sind da.«
»Und?«
»Hab sie mir am PC in der Uni ausgedruckt.« Ich trat zurück und kramte das Blatt aus meinem Rucksack. Dann drückte ich Julia das Papier in die Hand.
Sie betrachtete die Ergebnisse einen Moment. Ihre Augen weiteten sich binnen Sekunden. »Wow.«
Ich sprang wieder auf und ab. »Die besten Noten, die ich jemals hatte. Nicht mal in der Schule war ich so gut. Yippie!«
Julia lächelte. »Ich bin so stolz auf dich.«
Ich sprang in ihre Arme und hielt sie ganz fest. »Ohne dich hätte ich das nie geschafft.« Und es war die Wahrheit. Julia war wirklich die beste Freundin, die man sich vorstellen konnte.
»Du hast das ganz allein geschafft.« Nach einem Augenblick fragte sie: »Was sagt denn Nathalie dazu?«
Ich löste mich von ihr. »Nathalie?« In meiner Eile, Julia die Ergebnisse zu zeigen, hatte ich Nathalie ganz vergessen. Ohne etwas zu sagen, eilte ich aus der Küche ins Wohnzimmer
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