Zwei Seiten
Küche schauen, ohne gesehen zu werden. Olivers Hände ruhten auf der Arbeitsplatte. Das war also das Geräusch gewesen. Ich atmete erleichtert aus und wich wieder zurück, um auch ganz sicher nicht gesehen zu werden. Es war wichtig, dass die beiden endlich miteinander sprachen.
»Erst?« Oliver schnaubte. »Die Zeit hat sie toll genutzt. Na? Wie ist sie denn so im Bett? Ich weiß es ja nicht, aber du kannst es mir sicher sagen. Oder, Julia?«
Irgendetwas wurde zugeknallt. Vermutlich eine Schublade. »Ich habe nicht mit Scarlett geschlafen, verdammt!«, schrie Julia.
Hoffentlich hatte das jetzt auch jeder gehört.
»Statt mir zu vertrauen, hast du dir diesen Mist ausgedacht und behandelst mich wie Dreck.«
»Sieh dich nur als Opfer«, sagte Oliver. »Genauso wie damals mit Sarah.«
Für einige mir endlos vorkommende Sekunden herrschte Stille.
Dann raschelte etwas und Julia murmelte für mich kaum hörbar: »Ich wusste, du würdest das wieder rausholen.« Einen Moment später sagte sie etwas lauter: »Es war nicht mein Fehler.«
Oliver schnaubte. »Natürlich nicht. Wenn die erste Freundin einem sagt …« Oliver verstellte seine Stimme und quiekte: »Wirklich eine Schande, dass Julia kein Mann ist. Sie wäre sicher ein viel besserer Freund als du.« Mit normaler, aber lauter Stimme sprach er weiter: »Das hilft dem eigenen Ego unglaublich weiter.«
Wow, das war ja mal heftig. Sicher hatte das an Olivers Selbstvertrauen genagt. Aber deshalb hatte er noch lange nicht das Recht, sich jetzt so zu verhalten.
»Sie war eine dumme Schnepfe«, sagte Julia. »Ich dachte wirklich, wir hätten diese Sache ein für alle Mal hinter uns gelassen. Außerdem hat das nichts, aber auch gar nichts mit Scarlett und mir zu tun.«
»Also gibt es ein Scarlett und du«, grummelte Oliver. »Endlich gibst du es zu.«
»So ein Quatsch. So habe ich das nicht gemeint. Und das weißt du.«
Wieder herrschte Stille. Irgendwann sagte Oliver: »Wenn es wirklich so ist, wie du sagst - und ich glaube dir kein Wort - aber wenn es wirklich so ist, warum hat sie mir dann den Laufpass gegeben?«
Ich dachte sofort »weil du ein Arschloch bist«, blieb aber schweigend im Gang stehen. Das war eine Sache zwischen Julia und ihm.
»Hast du sie das mal gefragt?«
Es kam keine Antwort.
»Vielleicht hat sie schlichtweg nicht dasselbe für dich gefühlt, wie du für sie, und sie wollte die Sache beenden, bevor es richtig schmerzhaft wird.«
Oliver schwieg.
»Du bist mein Bruder, und ich liebe dich. Aber du bist ein solcher Idiot in dieser Sache. Wie kannst du auch nur eine Sekunde lang glauben, ich würde meine Gefühle für jemanden, den ich damals kaum kannte, über meine Beziehung mit dir stellen?«
Hatte ich das gerade richtig gehört?
Oliver nahm mir die Frage aus dem Mund. »Also hattest du damals schon Gefühle für sie!«
»Das habe ich nicht gesagt.«
»Doch, hast du.« Nach einer kurzen Pause sagte er kalt: »Ich höre.«
Für einen Moment herrschte Stille.
Dann sagte Julia: »Ich mochte sie damals, und ich mag sie jetzt umso mehr. Wir sind Freundinnen. Sonst ist nichts zwischen uns.«
Wie oft musste sie ihm das eigentlich noch sagen? Idiot.
»Du bist jetzt mit Jennifer zusammen. Lass uns diese ganze Sache vergessen, ja?«
»Ich kann dir nicht glauben. So sehr ich auch will.« Oliver seufzte laut. »Ich brauche Zeit, um über alles nachzudenken.«
Wenige Augenblicke später hörte ich, wie die Terrassentür geöffnet und wieder geschlossen wurde. Die Unterhaltung war offenbar zu Ende, und ich ging in mein Zimmer, um mich zu beruhigen.
* * *
Ich lag schon seit einer Weile im Bett und starrte im Dunkeln an die Decke. Meine Gedanken waren bei Julia. Sie hatte es nicht verdient, so behandelt zu werden. Wie hatte ich bloß jemals glauben können, Oliver sei ein lieber Kerl? Ich hatte ihn wirklich gemocht. Julia und Oliver waren sich in vielen Dingen so ähnlich. Nicht nur, was das Äußere betraf. Auch ihre Körpersprache, Mimik und Gestik waren oft dieselbe. Dennoch trennten sie charakterlich Welten.
Was Julia wohl gerade machte? Die Vorstellung, dass sie nebenan alleine auf der Couch lag und über die Situation nachgrübelte, war unerträglich. Ich stand auf und schlich aus meinem Zimmer. Im Gang war es etwas heller, da durch die offene Wohnzimmertür ein bisschen Licht einfiel. Ich musste schmunzeln. Julia hatte wieder Feuer im Kamin gemacht. Ich ging Richtung Couch. Was ich beim Näherkommen sah, brach mir fast das Herz:
Weitere Kostenlose Bücher