Zwei Seiten
Julia schlief halb zugedeckt und zusammengekauert auf der für sie zu kleinen Couch. Im Schlaf liefen ihr Tränen die Wangen herunter. Das Beste war, sie aufzuwecken. Ich setzte mich auf die Kante der Couch und streichelte Julias Haare.
Doch sie wachte nicht auf.
Daraufhin gab ich Julia einen sanften Kuss auf die Wange.
Wieder keine Reaktion. Julias Atmung blieb tief und gleichmäßig.
Was machte ich hier eigentlich gerade? Julia war doch nicht Dornröschen, die wachgeküsst werden musste.
Ich strich ihr einige Haarsträhnen aus dem Gesicht und sagte leise: »Julia. Julia, wach auf.«
Immer noch nichts. Meine Güte, was für ein Schlaf. Ich legte die Hand auf ihre Schulter und schüttelte vorsichtig. »Julia.«
Sie zuckte zusammen und blinzelte ein paar Mal. »Scarlett? Alles in Ordnung?«, fragte sie mit verschlafener Stimme.
»Ich dachte schon, du wachst nie auf. Mir geht‘s gut, aber dir nicht.«
Julia schaute mich ungläubig an. »Ich hab geschlafen.«
»Ja, schon. Bitte entschuldige. Aber du hast im Schlaf geweint.«
»Wirklich?« Julia fasste sich ins Gesicht. »Oh.«
Ich schob die Decke etwas runter. »Julia, komm doch mit in mein Zimmer. Ich hab kein Problem damit und … ich will dich heute Nacht nicht alleine lassen.«
»Das ist lieb von dir, aber es geht mir gut.«
Ich schaute ins fast abgebrannte Feuer. Ich wusste nicht, was mehr wehtat: Julias Schmerz wegen Oliver oder dass sie mich ausschloss. Mein Herz brach erneut, als ich im flackernden Licht ihr Gesicht beobachtete. Auf andere hätte es vermutlich ruhig und beherrscht gewirkt, aber in Julias Augen konnte ich sehen, wie allein sie sich fühlte. »Komm mit. Bitte.«
Wir betrachteten einander für einen langen Moment, bevor wir langsam aufstanden.
Es war dunkel in meinem Zimmer, aber keine von uns machte das Licht an.
Kaum waren wir unter die große Bettdecke geschlüpft, rutschte ich näher an Julia heran. Sie brauchte mich jetzt. Und es war ja nichts dabei. Ich drehte mich zu ihr, legte den Kopf auf Julias Schulter und meine Hand landete auf ihrem pyjamabedeckten Bauch. »Ist das so okay für dich?«, fragte ich zögerlich.
»Ja. Danke, Scarlett.«
»Brauchst dich nicht zu bedanken. Die Wahrheit ist, mir war etwas kalt und ich wollte etwas im Bett haben, das mich wärmt. Nur deshalb bin ich im Wohnzimmer vorbeigekommen.« Nach einem Augenblick fügte ich hinzu: »Du hast den Job.«
Julia lachte, und in meinem Herzen wurde es warm.
»Weißt du«, sagte ich in einem ernsteren Tonfall, »du brauchst mir nichts vorzuspielen.«
Julia, die einen Arm um mich gelegt hatte, begann, meinen Rücken zu streicheln.
Das verursachte bei mir eine Gänsehaut, aber eine angenehme.
»Was meinst du?«, fragte Julia.
»Selbst wenn ich deine Tränen nicht gesehen hätte«, sagte ich, »mittlerweile kenne ich dich zu gut, Julia Liebknecht. Warum sperrst du mich aus?«
Das Streicheln stoppte für einen Moment, bevor sie die Bewegung wieder aufnahm.
Ich schloss die Augen und genoss die rein freundschaftliche Berührung.
»Ich weiß gar nicht, was ich ohne dich tun würde. Du bist meine beste Freundin, Scarlett.«
Wir hielten einander ganz fest.
»Und du meine.« Auf meinen Lippen formte sich ein Lächeln. Ich atmete tief ein und genoss den angenehmen Geruch. Keine Ahnung, wie sie das tat, aber Julia roch einfach immer gut. Mit diesem Gedanken schlief ich friedlich ein.
* * *
Ein lautes Geräusch ließ mich zusammenzucken. Meine Augen klappten auf.
Die Tür wurde aufgerissen.
Ich kniff die Augen zusammen, wegen der Helligkeit.
Oliver stand plötzlich im Raum und starrte aufs Bett.
Jennifer, Daniel und Nathalie strömten hinter ihm ebenfalls ins Zimmer.
Daniel hielt Oliver von hinten an der Schulter fest.
»Freundinnen, was?«, schrie Oliver. »Wen wollt ihr eigentlich verarschen? Julia, hör mir zu. Und hör mir gut zu. Du und ich sind geschiedene Leute. In was für einer Traumwelt du auch immer lebst … ich fall auf deine Lügen nicht mehr rein. Du verdammte Schlampe, wie konntest du nur?«
Ich löste mich ruckartig von Julia und zog die Decke hoch bis zum Hals.
Julia schaute Oliver mit großen Augen an.
Ich war froh, als Daniel seinen Bruder zusätzlich am Arm packte und versuchte, ihn aus dem Zimmer zu ziehen. »Komm mit«, sagte Daniel. »Beruhig dich erst mal. Später können wir über alles reden.«
Ohne sich von uns wegzudrehen, sagte Oliver im kältesten Tonfall, den ich je von ihm gehört hatte: »Es gibt nichts mehr zu
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