Zwei Sommer
Ich möchte mir vor meinem nächsten Satz auch gern mal eine Ladung Papers zwischen die Lippen stopfen, wenn es mir auch nur ansatzweise dieselbe magische Aura verleihen könnte wie Janos.
Ich erzähle, dass ich mit meiner Tante in die Stadt gefahren bin, dass wir zusammen in einer Kunstausstellung waren und uns danach den Bauch mit Eiscreme vollgeschlagen haben. (Ich glaube, Jungs mögen es, wenn Mädchen ein unkompliziertes Verhältnis zu Eiscreme haben.) Ich erzähle ihm nicht, dass ich Tante Doro zwischen Ausstellung und Eisbecher in tausend Klamottenläden geschleift habe, um für heute Abend etwas Passendes zum Anziehen zu kaufen. Ich erzähle ihm auch nicht, dass ich heute die Hälfte des Abends vor dem Spiegel gestanden habe, und erst recht nicht, dass ich mich seit heute Morgen auf diesen Abend freue.
Meine Wangen glühen. Das kommt vom Feuer und vom Rotwein, der jetzt irgendwie zwischen Janos, mir und Holle hängen geblieben ist. »Wie heißt eure Band eigentlich?«, frage ich Janos.
»Querbeat.«
»Und was macht ihr so für Musik?«
»Schwer zu sagen. Wir hören alle unterschiedliches Zeug, ist quasi eine Mischung aus allem. Nils zum Beispiel ist unser Jazz-Faktor. Bassist aus Überzeugung.« Janos bläst grinsend den Rauch aus und nickt einem Typ mit Glatze auf der anderen Seite des Feuers zu. Der scheint seinen Namen gehört zu haben oder das Code-Wort »Jazz« und schickt ein Lächeln durch die Flammen zurück.
»Aha.« Da ist es wieder. Das Aha-Syndrom. Dabei gibt es wenig Musik, zu der mir nichts einfällt. Jazz gehört definitiv in diese Kategorie. Wenn mein Vater seine alten Jazzplatten rauskramt und sich für ihn jedes Mal eine Art Parallel-Universum aufzutun scheint, sitze ich immer mit leerem Kopf daneben. Ich kapiere diese Musik nicht. »Und welcher Faktor bist du?«, frage ich Holle, um das Jazzthema auszubremsen.
Holle zuckt mit den Schultern.
»Ich spiel Klavier.«
Holle sagt das, als würde er sagen: »Ich heiße Holger.« Dabei klingt Klavier wirklich tausendmal schöner als Holger.
»Echt? Ich will auch Klavierspielen lernen! Nach den Sommerferien fang ich an.«
»Nur so zum Spaß oder so richtig professionell?«
»Na ja, ich will meine eigenen Songs schreiben können und mich auf dem Klavier begleite n … Aber bis ich das kann, vergehen wahrscheinlich noch ein paar Sommer.« Holle nickt bedächtig.
»Du singst auch?«, fragt Janos.
»Ja. Im Chor. Macht auch echt Spaß, aber ich hätt trotzdem gern was Eigenes. Ein paar Songs, die nur mir gehörn. Texte hab ich schon ganz viel e …«
»Vielleicht kannst du Janos mal einen borgen, dann müssen wir nicht ständig Songs in Moll machen«, beginnt Holle von Neuem zu sticheln.
»Weiß nicht, ob ich da der geeignete Spender bin«, entgegne ich lächelnd und ein unsichtbares Bündnis mit Janos nimmt seinen Anfang.
»Wir sind nämlich eigentlich so eine Art Musiktherapiegruppe«, fährt Holle fort.
»Na ja, die besten Texte schreibe ich auch immer, wenn ich schlechte Laune habe«, fällt mir in diesem Moment auf. »Was vielleicht auch daran liegt, dass man gar nicht so oft zum Schreiben kommt, wenn man gute Laune hat. Ich meine, da hängt man mit Leuten rum und liegt im Park und spielt Frisbee oder kauft sich ’nen Pulli oder ein Eis, oder es gibt jemanden, der einem eins kauft.«
Autsch. Böse Falle. Was rede ich denn da? Ich will doch überhaupt nicht einen auf deprimiertes Weibchen machen. Erstens, weil Jungs das hassen, und zweitens, weil es meinem Zustand kein bisschen gerecht wird. Ich bin über die Weibchen-Phase hinaus.
Ich versuche, meinen letzten Kommentar zu verwischen. »Ich meine, wenn es einem gut geht, ist es leichter, sich der Umwelt auf andere Weise mitzuteilen.«
»Ach so, alles klar«, klinkt Holle sich wieder ein. »Wenn es Janos nicht gerade scheiße geht oder er an gebrochenem Herzen leidet, bricht er’s anderen, damit er was zum Texten hat.«
»Holle, du kleines Arschloch.« Janos grinst, aber seine blaugrünen Augen schicken ein paar Funken in Holles Richtung. »Lass es einfach gut sein, okay?«
Entweder ist Holle wegen irgendetwas ziemlich sauer, oder er hat einfach einen sonderbaren Sinn für Humor.
»Und wieso verbringst du deinen Sommer hier bei deiner Tante? Stehst du etwa auf Erbsensuppe?« Janos schaut mich von der Seite an und ich spüre, wie meine linke Wange unter seinen Blicken anfängt zu kribbeln.
»Nee, bloß nicht. Aber man kann sich’s ja nicht immer aussuche n …«
»Mmh, und
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