Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zwei Sommer

Zwei Sommer

Titel: Zwei Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Keil
Vom Netzwerk:
ihre Paranoia vollkommen.
    »Hast du dein Handy?«, ruft Doro mir nach, als ich schon fast aus der Tür bin.
    Ein bisschen ähnlich sind sie sich ja doch, denke ich. Doro und meine Mutter.
    Als ich nach etwa zwanzig Minuten Fußmarsch den Zeltplatz erreiche, wird mir etwas klar: Ich habe keine Ahnung, wie ich Janos’ Clique zwischen all den Zelten und Lagerfeuern finden soll. Mir hätte doch klar sein müssen, dass Janos’ Leute nicht die einzigen sein würden, die in einer lauen Sommernacht auf die Idee kommen, ein Feuer zu machen. Ich laufe quer über den Zeltplatz und meine Augen sind mir wie immer eine ganz große Hilfe. Habe ich schon erwähnt, dass ich im Dunkeln noch schlechter sehe als tagsüber?
    Aber da machen mir meine Ohren ein Geschenk. Sie schenken mir eine Stimme, die mir nur allzu vertraut ist. Ich verlasse den Weg, stolpere querfeldein über Zeltleinen und Campingkocher und folge meinem Gehör.
    Meine Ohren führen mich tatsächlich zu ihm. Im Schein des Feuers sehe ich ihn auf einem Baumstamm sitzen. Er spielt Gitarre und singt. Ich bleibe im Halbdunkel stehen und bin unentschieden, was ich als Nächstes tun soll.
    Eine Handvoll Leute sitzt ums Feuer herum. Sie unterhalten sich leise oder starren in die Flammen, aber ich kenne die ja nicht, und der Einzige, den ich kenne, singt gerade mit geschlossenen Augen Immortality von Pearl Jam . Ich weiß nicht, ob dies der Tag ist, an dem ich damit anfangen sollte, an Schicksal zu glauben. Was ich jedoch weiß, ist, dass da ein Typ mit blonden Locken etwa zwei Meter von mir entfernt sitzt und meinen Lieblingssong von Pearl Jam spielt.
    »Willste dich hinsetzen?«, fragt mich plötzlich ein Typ mit Brille und Pferdeschwanz.
    Ich lächle, nicke und setze mich neben ihn auf den Baumstamm.
    Es dauert nicht lange und ich habe vergessen, dass ich von fremden Leuten umgeben bin. Meine Blicke kleben an Janos’ Lippen. Jedes Wort, das er singt, rauscht durch meine Ohren hindurch mitten in mein Herz hinein. Zum ersten Mal verzerrt kein Sommerwind seine Stimme. Ich wusste, dass mir seine Stimme gefällt, aber jetzt ist sie noch tausendmal schöner. Sie ist die schönste und traurigste Stimme, die ich je gehört habe.
    »Wenn er jetzt noch Creep spielt, dreh ich durch«, flüstert mir der Typ mit Brille und Pferdeschwanz ins Ohr. Ich werfe ihm einen fragenden Blick zu. Was hat er denn gegen Creep ? »Kennst du Janos?«, fragt er, als ich auf seine Bemerkung ganz offensichtlich nicht anspringe.
    »Na ja, nee, eigentlich nicht, wir haben uns gestern zufällig am Strand getroffen.«
    »Am Strand? Alles klar.« Der Typ grinst.
    »Wie, alles klar?«
    »Wir haben uns schon gefragt, wo er den ganzen Tag rumhängt.« Er nimmt einen Schluck aus der Flasche Rotwein, die gerade herumgeht, und drückt sie mir anschließend in die Hand. »Macht gern einen auf introvertierter Künstler, unser Jano s … haut einfach ab, lässt sich den halben Tag nicht blicken und plötzlich taucht er wieder auf, mit zehntausend neuen Songs im Kopf. Wie heißt du eigentlich?« Ich trinke einen Schluck Wein und reiche die Flasche an ein Mädchen mit langen braunen Haaren weiter, das links neben mir sitzt. »Marie.«
    »Ich heiße Holger.« (Das tut mir leid.) »Aber alle nennen mich Holle.« (Kann ich verstehen.) »Er tut es. Er tut es schon wieder«, seufzt Holle und schüttelt den Kopf. Holle meint Creep von Radiohead .
    »Magst du’s nicht, wenn Janos singt?«, frage ich vorsichtig und die Flasche Wein kommt schon wieder bei uns an.
    »Quatsch, ich verehre ihn! Darum ist er ja auch unser Sänger. Aber immer diese Depri-Nummern, da krieg ich Zustände.«
    »Ich find’s schön.«
    »Dafür biste ja auch ’n Mädchen.« Holle schubst mich an, um mir zu zeigen, dass er einen Witz gemacht hat. »Mädchen können sich so was ständig reinziehen.«
    »Was können sich Mädchen ständig reinziehen?« Janos. Er hat die Gitarre an den Typ neben sich weitergereicht und steht nun vor uns.
    »Weltschmerz«, brummt Holle und nimmt einen tiefen Schluck aus der Flasche.
    »Wie war das, nur wer richtig schlechte Laune hat, hat auch richtig gute?«, versuche ich Janos beizustehen, aber der braucht meinen Beistand gar nicht. Holles Seitenhieb scheint spurlos an ihm vorbeigeschwebt zu sein, denn er setzt sich ohne Kommentar zwischen mich und das Mädchen mit den braunen Haaren und dreht sich eine Zigarette.
    »Schönen Tag gehabt?«, fragt er mal wieder durch das Zigarettenpapier zwischen seinen Lippen hindurch.

Weitere Kostenlose Bücher